Dorothy Gallagher
Und was ich Dir noch erzählen wollte
„Es war nie meine Absicht, über Ehe, Witwenschaft und Trauer zu schreiben“. Und so setzt Dorothy Gallagher das Gespräch mit ihrem Ehemann, dem Verleger und Publizisten Ben Sonnenberg nach seinem Tod 2010 fort, erzählt ihm Geschichten, schildert ihm, was sie nach fast dreißig Jahren Ehe ohne ihn erlebte.
Taubenpaar auf der Terrasse
Irgendwann fängt sie an zu tippen: „Vor einem Schreibinstrument zu sitzen, zu redigieren, zu schreiben war eine lebenslange Gewohnheit, eine Sucht.“ Dieser Gewohnheit ist es zu verdanken, dass das schmale Buch so leichtfüßig und oft lakonisch die gemeinsame Vergangenheit beschwört, während sie die kleinen Dinge ihres Alltags in New York schildert: die neue Dachwohnung, das Taubenpaar, das sich auf der Terrasse einnistet und brütet, die Uhr ihrer Mutter, die eine Kette von Assoziationen zur Familiengeschichte auslöst. Dorothy Gallagher wurde 1935 als Tochter russisch-jüdischer Einwanderer in New York geboren, der Stadt, der sie lebenslang treu bleiben sollte. Nach abgebrochenem Studium hatte sie schließlich Erfolg als Journalistin u.a. für die New York Times und schrieb später mehrere Bücher, zuletzt die Biografie des italienisch-amerikanischen Anarchisten Carlo Tesca.
Lieblingsplatz Sofa
Wie es dazu kam, erzählt sie in einem der zehn Kapitel, hochkomisch, weil sie sich plötzlich in Konkurrenz zu einem veritablen Historiker befand – und Erfolg hatte, und nicht zuletzt hatte ihr Mann an sie geglaubt.
„Ignoranz hatte mir Selbstvertrauen eingeflößt, hatte mir die Skrupel genommen und mir das Gefühl gegeben, ein solches Buch schreiben zu können.“
Der Gewissheit der Mutter, dass Dinge nicht wichtig seien, setzt sie entgegen: „Stimmt nicht, Mama, Dinge sind Zeugnisse; das Leben setzt sich darauf ab, so wie der Schnee, der fällt, während man schläft.“ Das alte Sofa, auf dem dreißig Jahre lang jeder, der zu Besuch kam, saß, „Sitz unseres Ehelebens“ und Lieblingsplatz zum Liegen und Lesen, wird ebenso zum Ausgangspunkt, über die Zeit hinweg zu mäandern, wie etwa ihre erste Schreibmaschine. Obwohl sie längst vom Computer abgelöst wurde, ist sie doch Zeugin des Wegs der Autorin von der Schreibkraft zur Autorin, die ihr Mann als erster in ihr erkannte:
„Damals sagtest du, ich sei Autorin. Ich beschloss, dir zu glauben. Seitdem warst du mein erster Leser. Ich wollte immer deine Meinung hören. Auch jetzt noch.“
Zeugnis großer Liebe
Gallagher verknüpft die Geschichte ihres Zusammenseins mit der der Tiere, die sie begleiteten, der Hunde, die entweder passten oder nicht, aber das Gewebe der Erinnerungen ebenso prägen wie die Katze Bones, die inzwischen auch starb.
„Wie sie mir fehlte, ihre tröstliche Gegenwart. Ich erkannte, dass ich mir vorgestellt hatte, wir seien Verschollene auf einer Insel, einsame Überlebende eines Schiffbruchs.“
Die Dinge, die Tiere, alles wird in Dorothy Gallaghers Memoire zum Zeugnis großer Liebe und unheilbaren Verlusts, - „so viele Dinge, so viel Stoff zum Nachdenken.“ Und kein einziger Moment, in dem sie ihre Ehe bereut hatte, auch wenn die jahrelange Pflege des schwer an Multipler Sklerose erkrankten Mannes beiden viel abverlangte. Ihre Erinnerungen bedeuten Trost, verbinden die Zeit vor ihrer Ehe mit dem unerbittlichen Danach. Die Gegenwart bemächtigt sich der Vergangenheit, doch im Schreiben Dorothy Gallaghers bleibt die Vergangenheit bewahrt und kostbar, jedes Kapitel ein Sketch, kein fertiges Bild, offen für mehr und doch ohne ein Wort zu viel. Ein gelungener Auftakt der neuen Frauen-Reihe im AKI-Verlag!
(Lore Kleinert)
Dorothy Gallagher, *1935 in New York als Tochter russisch-jüdischer Emigranten, Journalistin, lebt in New York
Dorothy Gallagher „Und was ich Dir noch erzählen wollte“
aus dem amerikanischen Englisch von Monika Baark
Aki-Verlag Zürich 2021, 128 Seiten, 20 Euro
eBook 15,99 Euro