Florian Wacker
Albuquerque
Erzählungen
Sie heißen Bunge, Budde oder Koller, haben manchmal Spitznamen wie Muffe oder Jerro, und immer sind sie unterwegs, machen Rundgänge oder sitzen am Steuer von Dienstfahrzeugen – Bussen, Kleintransportern, Straßenbahnen.
Richtig auf die Fresse
Der junge Mann, der nach Albuquerque fuhr, um einen alten Freund seines Vaters zu finden, landet in einem Trailerpark, und Ron, der "in der Bundesliga für kurze Zeit ein Komet gewesen ist", nimmt den Scheck für die neue Hüfte, für den der ganze Block gesammelt hat, gern an, kann sich aber an nichts und niemanden erinnern - "ein gebrochener Mann, der richtig auf die Fresse bekommen hatte."
Geschichten vom Scheitern, aber immer gibt es eine kleine Drehung heraus aus der Hoffnungslosigkeit, dem grauen Alltag, der trostlosen Gleichförmigkeit: Ron wird das Geld für alles Mögliche ausgeben, er hat sein Schicksal längst angenommen, und die Begegnung mit ihm verändert den Blick des jungen Mannes um genau jenen schmalen Winkel, in dem die neue Möglichkeit, die Dinge zu betrachten, verborgen ist:
"Ich schwieg, dachte an den Vater zu Hause in der Stube, an die Jungs vom Block. Vielleicht war es doch nicht das Schlechteste, mal rauszukommen. Alles auf eine Karte zu setzen."
Flüchtige Begegnungen
Die Kipp- und Drehmomente sind es, die Florian Wackers Kurzgeschichten so eindringlich machen – wenn der entlassene Schlachter Budde im Wald einen Mann findet, der versucht hat, sich umzubringen, einen von denen, die jetzt an seiner Stelle die Arbeit für die Hälfte machen, aus Bulgarien oder Rumänien, dann fragt er sich, warum sich einer von denen umbringt. Und gibt ihn als Kollegen aus, der sich beim Holzmachen verletzt hat. Oder der Fernfahrer Uwe, der den Flüchtlingsjungen Adil im Autobahnhotel nicht einmal sieht und ihn doch weiterbefördert, umhüllt von einer anderen Geschichte, der der Sehnsucht, nach Hause zu den Kindern zu kommen – auch dies eine flüchtige Begegnung, die die Orientierung feinjustiert, vielleicht.
Wie ein Riss durch die Zeit
Florian Wacker beherrscht die Kunst der Auslassung, des haarfeinen Pinselstrichs, und so erzählen die Geschichten viel mehr, vielleicht, ohne mit Bedeutung oder einem Zuviel an Ausmalung überladen zu sein. Was daraus wird, lassen sie offen, und die Phantasie der Leser erkundet die Möglichkeiten und spielt mit diesem "vielleicht". Alltagsminiaturen sind seine vierzehn Kurzgeschichten, die die Besonderheit jedes Einzelnen beleuchten, ohne seine Geheimnisse herauszuzerren und auszuschlachten.
Angst und Unruhe
Andy etwa, der bleiche Außenseiter im Freibad, den die anderen Jungs zur perfekten Arschbombe drängen:
"Als er auf die Wasseroberfläche traf, ging ein Riss durch die Zeit: Alle Geräusche verstummten, und alle Bewegungen hielten inne …einer, der das Fliegen beherrschte, aber nicht wusste, wozu."
Und wenn er danach spurlos verschwindet wie ein Geist, bleibt die Unruhe, die er auslöste. Oder der Busfahrer Frank, dem die Angst vor einem Unfall in den Knochen steckt. Als er auf der Straße eine kleine Eule einsammelt, wird der Weg in seinem Inneren frei für Erinnerungen an Sand und Meer und Zuversicht, ohne Anstrengung.
Genau beobachtet
Dass Florian Wacker vor seinem Literaturstudium in Leipzig in der Behindertenhilfe und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeitete, hat seine genaue Beobachtungsgabe sicher geschult. Sein Erstlingsband ist eine Entdeckung, nicht nur für alle, die Kurzgeschichten mögen.
(Lore Kleinert)
Florian Wacker *1980 in Stuttgart, Studium Heilpädagogik und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, lebt in Frankfurt/Main
Florian Wacker "Albuquerque"
Erzählungen
Mairisch Verlag 2014, 160 Seiten, 16,90 Euro, eBook 13,99 Euro