Hans Pleschinski
Das kurze und verschwenderische Glück der Königin Marie Antoinette
Die Aufzeichnungen ihrer Kammerfrau Henriette Campan
Als Marie Antoinette 1770 „als schöne Verheißung aus Wien“ im Versailles eintraf, war sie 14 Jahre alt. Henriette Genet, später Campan, damals noch nicht verheiratet und nur drei Jahre älter, wurde ihre Kammerfrau, nachdem sie zwei Jahre zuvor als Vorleserin in die Dienste der Töchter Ludwig XV. getreten war.
Erschütterungen
1774 wurde Ludwig XVI. König von Frankreich, und Madame Campan diente der jungen Königin und setzte ihr mit den Erinnerungen an die bewegten Jahre bis zu ihrem Tod ein Denkmal. Bis heute, bis in die Filme von Sophia Coppola und anderen hinein prägen sie das Bild der Prinzessin aus Österreich und spüren und den Erschütterungen ihres Lebens als Königin von Frankreich nach.
„Damit gleicht der Weg Marie Antoinettes von einer Kindheit in Schönbrunn bis aufs Schafott, ihre Entwicklung von kindlicher Verspieltheit über argloses Amüsement bis hin zur achtunddreißigjährigen Witwe, die mit schlohweißem Haar zur Hinrichtung gekarrt wird, diese Strecke von unerhörtem Luxus ins Massengrab einer Feuerspur.“(Nachwort Pleschinski)
Henriette Campan erinnert sich genau, und es gelingt ihr, muntere Anekdoten mit tiefen Einblicken in das Leben am Hof originell zu verbinden. Dass sich im Benehmen des jungen Königs häufig ein Mangel an guter Erziehung zeigte und seine plötzlichen Ausbrüche mit Vorsicht umschifft werden mussten, gehörte zu den vergnüglicheren Seitenblicken; sehr viel später und schon in Lebensgefahr verteidigte Marie Antoinette ihn, der König sei kein Feigling,
„er besitzt großen, stillen Mut, aber eine unnötige Scham behindert ihn, mangelndes Selbstvertrauen, was ebenso aus seiner Erziehung wie aus seinem Wesen herrührt. Er hat Angst, Befehle zu erteilen und fürchtet mehr als alles andere, vor vielen Menschen zu sprechen“./p>
Intrigen
Campans Erinnerungen an das strikt geregelte Leben in Versailles beschönigen nichts. Zwar stellt die kluge, belesene Frau ihr privilegiertes Leben im Ancien Régime nicht in Frage, betrachtet es aber mit scharfem Blick, auch was die vielen Zwänge und Privilegien des Adels betrifft, an denen diese Gesellschaft letztlich erstickte. Sie selbst verstand es, für sich zu sorgen, hielt sich jedoch fern von den Intrigen am Hof, an dem es nicht einmal für Könige und Königinnen Räumlichkeiten für sich allein, geschweige denn ein Privatleben gab.
„Herrscher sind unablässig von Menschen umgeben, die einer Nachwelt die persönlichen Gewohnheiten überliefern, der geringste Diener plaudert aus, was er gesehen oder gehört hat, der Klatsch verbreitet sind in Windeseile und wird zu öffentlichen Meinung…“
Und das hatte immer wieder zur Folge, dass die Anstrengungen Marie Antoinettes, sich einen privaten Freundeskreis vertrauter Menschen zu erschaffen, missverstanden und gegen sie gewendet wurden.
„Das Glück, das sie befestigen wollte, sollte ihr nur Kummer bringen. Alle Höflinge; die zu diesem vertrauten Kreis nicht zugelassen waren, wurden umso heftiger zu neidischen und rachsüchtigen Feinden.“
Bei der Geburt ihrer ersten Tochter war der Raum so voll wie ein Marktplatz, und erst ein beherztes Eingreifen des Königs bewahrte Marie Antoinette davor, zerquetscht zu werden.
Schauprozess
Madame Campan schildert die Königin mit Diskretion und maßt sich nicht an, ihr Wissen über sie zu Markte zu tragen. Sie widerspricht den Beschuldigungen, die nicht erst 1789 laut wurden, aus ihrer besseren Kenntnis heraus, ohne die Fresslust des Königs und Marie Antoinettes Freude am Luxus zu verschweigen. Dass ihre Sympathien mit den Revolutionären gering waren, ist nachvollziehbar, doch die unterschiedlichen Positionen und Verhaltensweisen kann sie genau beurteilen und vermittelt so ein höchst lebendiges Bild der Jahre des totalen Umbruchs Frankreichs.
„Was in Paris Gehässiges laut wurde, verbreitete sich in allen Provinzen. So glaubte man, dass der König den Tafelfreuden bis zu einem scheußlichen Unmaß frönte. Man war überzeugt, die Königin leere den Staatsschatz, um den unsinnigsten Luxus zu befriedigen.“
Als der Hof nach dem ersten Jahrestag des Sturms auf die Bastille nach St. Cloud zurückkehrte, geriet die Königin, die man als ‚österreichische Wölfin‘ schmähte, immer mehr in Gefahr. Die Versuche, sie zu vergiften, häuften sich, die Wut der Massen wurde unkontrollierbar, und auch ihre Kammerfrau musste um ihr Leben fürchten, weil sie sie, zurück in Paris, mit Mut und Entschlossenheit beschützte, solange es möglich war.
“Ihr Schauprozess wurde zu einem mustergültig politisch-ideologischen Verfahren, das bis auf den heutigen Tag üble Nachahmung fand. Für die Beschuldigte in Witwentracht stand nicht einmal ein Glas Wasser bereit.“
Blick in die Vergangenheit
Die Erfahrung, mit welchen Lügen und Winkelzügen man Marie Antoinette im Schauprozess einzuschüchtern versuchte und mit welch unbeugsamer Haltung und Tapferkeit sie sich verteidigte, beeindruckte Henriette Campan nachhaltig und bestärkte sie darin, ihre Erinnerungen so präzise und empathisch aufzuzeichnen und kurz vor ihrem Tod 1822 zu veröffentlichen. Hans Pleschinski hat ihnen mit seiner gewohnt eleganten Übersetzung den Glanz verliehen, den sie noch immer verdienen, als Blick in eine vergangene Zeit, der die Vorstellungskraft in ungewöhnlicher Weise anregt.
(Lore Kleinert)
Hans Pleschinski, *1956 in Celle, Germanist und Romanist, Übersetzer und mehrfach ausgezeichneter Autor, lebt in München
Hans Pleschinski (Hrsg)
„Das kurze und verschwenderische Glück der Königin Marie Antoinette“
Die Aufzeichnungen ihrer Kammerfrau Henriette Campan
Übersetzt von Hans Pleschinski
Verlag C.H. Beck 2025, 348 Seiten mit 20 Abbildungen, 26 Euro
eBook 22,99 Euro