Azar Nafisi
Die schönen Lügen meiner Mutter
Erinnerungen an meine iranische Familie
Die iranisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Azar Nafisi hat in ihrem internationalen Bestseller "Lolita lesen in Teheran" (dt. 2005) von ihrer Tätigkeit als Literaturdozentin in den ersten Jahren der islamischen Revolution erzählt. Nun legt sie ein Erinnerungsbuch vor, in dem sie sich mit ihrer Familie und der iranischen Geschichte seit den 50er Jahren auseinandersetzt und schildert, wie die Literatur ? die klassische persische, die moderne iranische und die westliche ? ihr Leben und ihr Denken beeinflusst hat.
Politische Familie
Das klingt spröde und ist doch unglaublich spannend. Nafisi, geboren in den 50er Jahren, wächst in einer gebildeten, intellektuell-kritischen Familie auf, in der die Nähe zur Politik Tradition hat. Ihr Vater Ahmad ist in den 60er Jahren Bürgermeister von Teheran, bis er verhaftet und unter dem Vorwurf der Korruption für vier Jahre eingesperrt wird. Nach seiner Rehabilitierung wird er nie wieder regierungsamtlich tätig.
Nafisis Mutter wird im Zuge der ?Weißen Revolution? des Schahs, der sein Land in eine moderne Industrienation westlicher Prägung umwandeln und auch die Frauenrechte stärken will, für kurze Zeit eine der ersten weiblichen Parlamentsabgeordneten des Landes.
Schwierige Eltern
Nicht nur die äußeren Bedingungen sind schwierig, auch nach innen machen Azars Eltern es ihr nicht leicht. Die Mutter ist charismatisch, aber hoch neurotisch, eine schöne, eher unglückliche Frau, die das rechte Maß zwischen Hingabe und Kontrolle in der Erziehung ihrer Kinder nicht finden kann und sich das Leben jeweils so zurechtlegt und -lügt, wie es ihr passt. Der Vater dagegen ist ein Schöngeist, der der kleinen Azar die klassischen persischen Sagenhelden und die Liebe zur Literatur nahebringt.
Unterschiedliche Welten
Azar pendelt ab dem 13. Lebensjahr zwischen den Welten: Schule und Studium im westlichen Ausland wechseln sich jeweils ab mit der Rückkehr nach Teheran. Sie heiratet, trennt sich, heiratet erneut und beginnt schließlich in Teheran Literatur zu unterrichten, bis die Lebens- und Arbeits- Verhältnisse im Zuge der islamischen Revolution stark eingeschränkt und unerträglich werden.
Packende Biografie
Mit großer persönlicher Offenheit erzählt Azar Nafisi vom Aufwachsen in einer nicht unschwierigen Familie in einer politisch hochbrisanten Zeit. Das Buch ist mit vielen Fotos aus dem privaten Album der Nafisis illustriert: eine Frau in schulterfreiem Kleid und mit offenem Haar ist im Iran heute kaum mehr vorstellbar, in den 60er Jahren galt ein Verschleierungsverbot.
Inzwischen lebt die Autorin seit Jahren in den Vereinigten Staaten. Wäre sie immer noch in Teheran, so muss man befürchten, hätte dieses packende, so informative wie anrührende Buch wohl nicht erscheinen können.
(Gabi von Alemann)
Azar Nafisi *1955 in Teheran, seit 1997 in den USA
Azar Nafisi "Die schönen Lügen meiner Mutter"
Erinnerungen an meine iranische Familie
Verlag DVA 2010, 400 Seiten, 22,95 Euro