Kerstin Decker
Richard Wagner - Mit den Augen seiner Hunde betrachtet
Wer hätte das gewusst: Richard Wagner, der Jahrhundertkomponist, der Revolutionär, der von Hitler Verehrte, der Frauenheld, der Unverstandene, der Zeit seines Lebens vor Gläubigern flüchten musste: er wäre ohne seine Hunde wahrscheinlich nie d e r Richard Wagner geworden, den wir heute gleichermaßen verehren wie verabscheuen.
Dreck und Speck
Möglicherweise wäre er irgendwo zwischen Dresden, Zürich, Paris und Venedig verarmt und unverstanden zugrunde gegangen, wenn es nicht seine Hunde gegeben hätte: die Pudel Rüpel, Dreck und Speck, den riesigen Neufundländer Robber, den King Charles, Spaniel Peps oder Ross, seinen letzten Wegbegleiter.
Ein Huhn in Venedig
Aber auch zwei Papageien, die Pfauen Wotan und Fricka, ein Pferd und nicht zuletzt ein totes venezianisches Huhn haben keinen geringen Anteil am Gelingen der grandiosen Kompositionen des Meisters. Der tragische Tod jenes Huhnes in Venedig beflügelte Wagner sogar dazu, endlich seinen "Tristan" zu vollenden.
Mit Herz und Hirn
"Der grässliche Schrei des Tieres drang in meine Seele." Er musste den Tristan komponieren mit dem Todesschrei eines Huhns im Herz und Hirn. Und wäre Peps nicht gewesen, wohlmöglich wäre der "Tannhäuser" ein musikalisches Fiasko geworden. "Bei E-Dur hält es Pips nicht auf dem Hocker, er steht da, zum Sprung bereit, alle Sinne angespannt und aggressiv." Es-Dur hingegen, "der Kapellmeister entnimmt es dem schläfrigen Schwanzwedeln seines Hundes" entsprach eher der Liebe. So schrieb Wagner die berühmte Ouvertüre deshalb in E-Dur. Pilgerchor und Schluss des Tannhäuser werden in Es-Dur stehen.
Ein Hund neben Wagner
Dass der musikalische Vierbeiner bisweilen auch die Orchesterproben aufmischte und nach dem Taktstock schnappte, sei nur am Rande erwähnt. Russ schließlich, der letzte Hund Wagners, wieder ein Neufundländer, fand am Ende neben seinem Herrn auf dem Gelände der Villa Wahnfried in Bayreuth seine letzte Ruhestätte.
Vierbeinige Zeitgenossen
Der Berliner Journalistin und Philosophin Kerstin Decker, die schon über die "Geschichte der Hassliebe" zwischen Wagner und Nietzsche geschrieben hat, ist ein sehr interessantes, auch für Nicht-Wagnerianer und Tierfreunde lesenswertes Buch gelungen. Denn es betrachtet Richard Wagner, über den doch scheinbar schon alles gesagt und geschrieben worden ist, aus einer gänzlich anderen Perspektive: aus der seiner Hunde, die ihn besser kannten als seine zweibeinigen Zeitgenossen. Ein gelungener Beitrag zum Wagner-Jubiläumsjahr.
(Walter Langlott)
Kerstin Decker, Richard Wagner - Mit den Augen seiner Hunde betrachtet
Verlag Berenberg, Berlin 2013, 288 Seiten, 25 Euro