Inge Jens
Am Schreibtisch
Thomas Mann und seine Welt
Auf den Spuren eines Schreibtischs – dieser Weg könnte ganz schlicht auf dem Dachboden enden oder im Keller, vielleicht im Antiquariat. Nicht so der Schreibtisch vom Thomas Mann, der den Dichter in die zahlreichen Domizile seiner Emigration begleitete und dort "Symbol für Heimat, Angekommensein und Arbeitssicherheit" wurde.
Weite Reisen
Aus dem prachtvollen Haus in der Münchener Poschingerstraße ging es über die Schweiz und Südfrankreich ins Exil nach Amerika, bis nach Princeton in New Jersey und an die Pazifikküste in Kalifornien und schließlich zurück in die Schweiz, ins letzte Domizil der Manns in Kilchberg.
Der mächtige Mahagoni-Schreibtisch war fast überall dabei und mit ihm liebgewordene Gegenstände: u.a. ein Jadebecher, ein siamesischer Buddha, ägyptische Statuetten, Fotos, Kerzenleuchter, eine Tolstoi-Plakette, alles "sichtbar auf dem Allerheiligsten" drapiert. Hier stellte er im Exil seinen "Joseph-Roman" fertig, hier war sein Refugium. Tabu waren die zahlreichen Schubladen in diesem beeindruckenden Möbelstück, denn dort sammelte er Ideen und Materialien für seine Romane, Tagebücher und wohl auch intime Bekenntnisse.
Grünes Provisorium
Nur in Sanary in Südfrankreich musste sich der Schriftsteller mit einem grün bezogenen ehemaligen Spieltisch als Provisorium begnügen, das geliebte Möbel blieb zunächst in München zurück. Was neben der ohnehin schmerzhaften Entwurzelung und persönlichen Kränkung zusätzlichen Kummer bedeutete. Denn der Schreibtisch war ihm stets ein sicherer Ort, wo er "seine Gedanken sammeln und seiner Phantasie ihren vorgezeichneten Lauf lassen konnte ..." Eine solche Beziehung hat es – so Inge Jens – "in der Geschichte der Emigration sonst nirgendwo gegeben".
Geblümtes Sofa
"Er brauchte seinen festen Platz und die gewohnte Ordnung, um schreiben zu können …"
Dazu gehörten ein schönes Haus, großzügige Räume für Gäste und Lesungen, ein bequemer Sessel und natürlich der Schreibtisch. In Kalifornien kam später noch ein geblümtes Sofa hinzu, auf dem Thomas Mann, krank und schwächer schon, in der Ecke sitzend auf fester Unterlage seine Gedanken zu Papier bringen konnte - den eigentlichen Arbeitsplatz im Blick.
Vertrauter Lebensrhythmus
Seine Frau Katia hat stets für die richtige Umgebung gesorgt, was angesichts der Umstände und der Ansprüche ihres Mannes nicht immer einfach war. Aber in der Organisation eines "vertrauten Lebensrhythmus" erwies sie sich, wie auch in diesem Buch wieder sichtbar wird, als eine Meisterin:
"Sie war aber auch Realistin genug, um zu wissen, wie sehr das Wohl und Wehe der ganzen Familie von der Arbeitsfähigkeit des Ernährers abhing ..."
Außergewöhnliches Möbelstück
Die Literaturhistorikerin und Publizistin Inge Jens ist eine profunde Kennerin des Werks von Thomas Mann, hat sich mit der Edition seiner Tagebücher und als Biographin von Katia Mann und deren Mutter Hedwig Pringsheim auch international einen Namen gemacht und zusammen mit ihrem Mann Walter Jens eine fesselnde Biografie geschrieben: "Frau Thomas Mann – Das Leben der Katharina Pringsheim" – 2003 ein Bestseller.
Ihre biografischen Notizen und Recherchen rund um ein außergewöhnliches Möbelstück sind reich an spannenden Details. Inge Jens führt uns ein weiteres Mal in die Lebens- und Gedankenwelt von Thomas Mann, schildert seine Gefühle in der Emigration und seine Aktivitäten, fördert Kurioses, Überraschendes und Bekanntes zutage. Eine äußerst lesenwerte und unterhaltsame Geschichte seines Exils.
Der legendäre Schreibtisch ist übrigens zu besichtigen: im Bodmer-Haus in Zürich, wo das Thomas-Mann-Archiv seinen Sitz hat und ein Gedenkzimmer eingerichtet ist.
(Christiane Schwalbe)
Inge Jens "Am Schreibtisch" - Thomas Mann und seine Welt
Rowohlt Verlag 2013, 208 Seiten, 19,95 Euro
eBook 16,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Inge Jens
"Langsames Entschwinden" - Vom Leben mit einem Demenzkranken