Henning Mankell
Treibsand – Was es heißt, ein Mensch zu sein
Ein steifer Nacken plagt ihn, Weihnachten 2013. Wenige Tage zuvor hatte Henning Mankell einen Unfall, "es bahnte sich etwas an" schreibt er auf den ersten Seiten seines letzten Buches. Als der Schmerz nicht nachlässt, werden Röntgenaufnahmen gemacht. Das Ergebnis: Lungenkrebs, "Im Nacken hatte ich eine Metastase."
Ins Bodenlose gefallen
"Treibsand" heißt sein Buch, den Titel wählte er nach einem alten Albtraum, in dem er einst zu versinken drohte. Denn zu Beginn seiner Krankheit fühlt er sich, als sei er in Treibsand geraten, ins Bodenlose gefallen, als werde er ohne Halt und Stand einfach mitgerissen ins Ungewisse:
"Ich hatte das Buch schon vor meiner Erkrankung zu weiten Teilen fertig, eine Art Zivilisationskritik, darüber, was wir nachfolgenden Generationen hinterlassen. Ich habe es dann noch mal umgeschrieben, meine Erfahrungen mit der Erkrankung hinzugefügt. Als ich die Diagnose das erste Mal hörte, versank ich in einem Abgrund, im Treibsand. Dann musst du dich selbst wieder daraus befreien, dich nach oben kämpfen."
Sagt er in einem Zeitungsinterview und schreibt: "Der Treibsand war der Höllenschlund, vor dem ich mich schließlich rettete." Auch mit Gedanken über das eigene, "erfüllte Leben, das jetzt schon länger ist, als es sich viele Menschen in der Welt erträumen können."
Über die Zukunft der Welt
In "Treibsand" schreibt er von seinem Leben: "Dem, das war, und dem, das ist." Er verbindet seine Memoiren mit Reflexionen über die Zukunft der Welt und über die Zerbrechlichkeit unserer Zivilisation. Er erinnert sich an Kindheit und Jugend, erzählt von seinem Sehnsuchtsort Afrika und die Theaterarbeit in Mozambique, er lässt sich vom ungebrochenen Erstaunen über die Großartigkeit wissenschaftlicher und kulturgeschichtlicher Erkenntnisse leiten und setzt sich – immer wieder - mit den Fragen des (eigenen) Lebens und Sterbens auseinander. Aber ihn treibt stets auch politische Empörung um – über die erschreckende Verantwortungslosigkeit, wenn es beispielsweise um die Endlagerung von Atommüll geht, der seine zerstörerische Strahlkraft noch in 100 000 Jahren nicht eingebüßt haben wird.
"Doch möglicherweise sind die, die nach uns kommen, weniger dumm, als wir es waren und immer noch sind."
Mitten im Leben
Mankell breitet nicht durchgängig ein Thema aus, sondern lässt sich von Erinnerungen lenken, beschreibt in Essays die Ereignisse und Erlebnisse, die ihn tief berühren, die vom Aufbruch handeln oder vom Umbruch und seinem Leben plötzlich eine unerwartet neue Richtung geben:
"Ich stand mitten im Leben, war also in jener Lebensphase, von der man sagt, in ihr seien sowohl die Risiken wie auch die Möglichkeiten am größten … Zu schreiben, nahm ich mir vor, musste heißen, mit meiner Taschenlampe die dunklen Ecken auszuleuchten und nach bestem Vermögen das offenzulegen, was andere zu verbergen versuchten."
Davon zeugen seine Bücher bis heute. Henning Mankell starb am 5. Oktober 2015. "Treibsand" ist sein Vermächtnis, ein Buch über das Menschsein, Freude am Leben und die lakonische Erkenntnis: "Leben ist im Grunde nichts anderes als Überlebenskunst."
(Christiane Schwalbe)
Henning Mankell *1948 in Stockholm, Theaterregisseur und Schriftsteller, gestorben im Oktober 2015
Henning Mankell "Treibsand – Was es heißt, ein Mensch zu sein"
Zsolnay Verlag 2015, 383 Seiten, 24,90 Euro
eBook 18,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Henning Mankell
Mord im Herbst - Ein Fall für Kurt Wallander