Abdullah Al-Sayed und Kerstin Kropac
Geflüchtet
Zu Hause in Deutschland, daheim in Syrien
Als Abdullah 16 Jahre alt ist, schickt ihn seine Familie los, damit er eine Perspektive hat. Im Jahr 2015 flieht er, ein unbegleiteter Minderjähriger, von Rakka über die Balkanroute nach Deutschland, so wie über 700.000 weitere Syrer, bis diese Route 2016 praktisch geschlossen wird.
Allein in Deutschland
Im November 2015 wird Abdullah in ein Kinderheim im Harz gebracht. Ihm schlägt von Seiten der anderen Jugendlichen viel Misstrauen und Ablehnung entgegen. Da er sich noch nicht ausreichend verständigen kann, spielt er den Clown, um so die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich zu ziehen und eckt dadurch nur noch mehr an. Das Ankommen fällt schwer, es gibt niemanden, der ihm die kulturellen Unterschiede erklären kann. Warum zieht man die Schuhe nicht vor der Haustür aus? Was ist das für ein merkwürdiges Abendessen – Brot und Wurst? Warum lädt hier keiner den Nachbarn einfach zu einer Tasse Tee ein? Fußball hilft ihm immer wieder, zu vergessen und dabei muss man auch nicht viel erklären. Er arbeitet hart, versucht die Sprache zu lernen und schafft es schließlich in eine Regelklasse. Dabei hält er ständig den Kontakt zu seiner Mutter und den Geschwistern, die in der Türkei gestrandet sind. Er wünscht sich sehr, zumindest die Mutter und die kleine Schwester nachholen zu können.
Hubschrauber kündigen die Bomben an
In den Erzählungen über seine Kindheit in Syrien erleben wir zunächst einen ganz normalen, behüteten Jungen, der, als die ersten Bilder von Protesten in Syrien über den Bildschirm flimmern, fassungslos mit Eltern und Geschwistern vor dem Fernseher sitzt, weil sich keiner in dem vom Geheimdienst in Schach gehaltenen Land Proteste vorstellen konnte. Als der Bürgerkrieg näher rückt, erlebt Abdullah die ersten Bombardierungen seiner Heimatstadt - Hubschrauber kommen immer als Vorboten der Bomber, dann ducken sich alle hilflos und beten, dass sie verschont bleiben. Assad bombardiert sein eigenes Volk. Verschiedene Rebellengruppen, die syrische Armee und der IS kämpfen um die Vorherrschaft. Irgendwann gewinnt der IS die Oberhand in Rakka und das Leben ändert sich erneut radikal.
"Der Henker holte aus. In diesem Moment ging ein Raunen durch die Menge. Es war wie ein kollektives Luftanhalten. … Der Säbel zischte durch die Luft. Ich zog instinktiv den Kopf ein und kniff die Augen zu. … Omar hauchte: 'Das war krass.' Er war kreidebleich. Mein Freund hatte seinen Blick nicht abgewandt …"
Einer seiner Brüder verschwindet, nachdem der Vater kurz zuvor bei einem der Bombenangriffe getötet worden war. Das Leben der Familie zerfällt mehr und mehr.
Angekommen und doch nicht daheim
Der Text ist ganz aus Abdullahs Perspektive geschrieben. In einfachen und klaren Sätzen erfährt der Leser etwas über das Leben in Syrien vor dem Krieg, über das Sterben und die Angst um Freunde und Familie nach dem Beginn des Krieges. Gleichzeitig werden die Anfänge des inzwischen sieben Jahre andauernden Bürgerkriegs noch einmal sehr eindringlich in Erinnerung gerufen. Die Auswirkungen der Angriffe in der Sylvesternacht in Köln, aber auch andere Ereignisse treffen Abdullah jedes Mal ganz direkt - durch die Reaktion der Menschen, die er auf der Straße trifft. Abdullahs Bericht bringt uns die Geschichte vieler Flüchtlinge stellvertretend näher und vermittelt gleichzeitig auch Hoffnung für ein friedliches Zusammenleben - ein lesenswertes und hochaktuelles Buch für erwachsene und junge Leser gleichermaßen.
(Iris Knappe)
Abdullah Al-Sayed, *1999 stammt aus Ar-Raqqa in Syrien, 2015 flieht er nach Deutschland; er wohnt inzwischen in einer WG und macht das Fachabitur.
Kerstin Kropac, *1973, arbeitet als freie Journalistin, sie hat bereits einige Sachbücher und Biografien von und für Jugendliche veröffentlicht.
Abdullah Al-Sayed in Zusammenarbeit mit Kerstin Kropac "Geflüchtet"
Zu Hause in Deutschland, daheim in Syrien"
Arena Verlag 2018, 216 Seiten, Taschenbuch 9,99 Euro
Ab 12 Jahren