Maja Nielsen
Tatort Eden 1919
Berlin im Jahr 2015 – Für Biko hat sich ein Traum erfüllt – er ist auf der Artistenschule angenommen worden. Der Sohn eines Ghanaers und einer Deutschen reist aus der sauerländischen Provinz ausgerechnet dann nach Berlin, als Tausende von Flüchtlingen auf den Bahnhöfen ankommen.
Eintauchen in das Jahr 1919
Er beginnt gerade, sich an das neue Leben im Internat zu gewöhnen, als er auf die Notizen von Pico aus dem Jahre 1919 stößt. Als Biko sich für eine Performance in der Schule näher mit einem alten Schrankkoffer beschäftigt, findet er ein Geheimfach und gerät in den Sog der Vergangenheit. Er beginnt die Geschichte des Kofferbesitzers Pico zu erforschen und damit das Berlin des Jahres 1919. Pico kehrt Ende des Jahres 1918 aus dem Krieg zurück und ist froh, überlebt zu haben. Er bekommt sogar seinen alten Job als Kellner im Hotel Eden zurück. In seinen Notizen erzählt er vom Elend der Kriegsheimkehrer auf den Straßen Berlins und den Unruhen, die der Abdankung des Kaisers und der Neugründung der Republik folgen. Detailliert beschreibt die Autorin die Matrosenaufstände und die Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken. Einige von Picos Freunden sind in die Kämpfe verwickelt oder an Waffenbeschaffung und Planung der Aufstände beteiligt. Einmal wird auch er festgenommen und steht Todesängste aus, weil er zufälligerweise Waffen bei sich hat.
Rosa und Karl
Pico arbeitet schließlich sogar als Spion für die Aufständischen, denn im Hotel Eden hat sich die Zentrale des Generalstabs einquartiert. Die Offiziere feiern mit Champagner, während die Arbeiter draußen hungern. Gleichzeitig laufen im Hotel Eden die Vorbereitungen für die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die dort festgehalten und verhört werden. Pico und seine Freunde bewundern vor allem Luxemburgs Haltung und sind begeistert von ihren Ideen. Er beschreibt das alles genau und ist dabei selbst zunehmend gefährdet, weil auffällt, dass Informationen aus dem Generalstab nach außen durchsickern.
Vergangenheit und Gegenwart
Ist die damalige Zeit mit der heutigen vergleichbar? Auf den ersten Blick ja, denn es geht damals wie heute um das Erstarken der Rechten; Nielsen sagt in einem Interview aber ganz richtig:
"Unsere Zeit und die Zeit von 1918/19 kann man natürlich nicht direkt vergleichen. Krieg und Revolution sind für uns weit weg. Was aber ähnlich ist: Es gibt auch in unserer Zeit starke soziale Verwerfungen. Flüchtlinge werden umhergetrieben, täglich ertrinken Menschen im Mittelmeer. Gleichzeitig erleben wir das Erstarken von neuen rechten Bewegungen. Teile der Gesellschaft stehen sich, ähnlich wie vor 100 Jahren, unversöhnlich gegenüber."
Historie im Mittelpunkt
Der Leser erfährt viel Wissenswertes über die frühen Kämpfe und Konflikte in der Weimarer Republik. Maja Nielsen kann sich aber zwischen beiden Geschichten nicht so recht entscheiden. Die Rahmenhandlung um den schwarzen Jungen, der häufig für einen Ausländer gehalten und deshalb einmal fast von Rechten verprügelt wird, wirkt sehr konstruiert. Picos Lebensumstände sind lebendig erzählt, Bikos Wünsche und Träume wirken dagegen sehr blass. Der Schwerpunkt der Autorin liegt eindeutig auf der Darstellung der historischen Ereignisse.
Dem Text schließt sich eine umfangreiche Chronik der Ereignisse und eine Information über die historischen Personen an. Außerdem wird vom Verlag Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt.
(Iris Knappe)
Maja Nielsen, *1964 in Hamburg, arbeitet seit 1998 als Autorin; 2009 Deutscher Kinderhörspielpreis für "Feldpost für Pauline". 2013 "Lesekünstlerin des Jahres" (Buchhändler)
Maja Nielsen "Tatort Eden 1919"
Gerstenberg Verlag 2018, 192 Seiten, 9,95 Euro
Ab 13 Jahren