Eva Lezzi
Kalter Hund
Die sechzehnjährige Gülay verschwindet nach Istanbul. Ihre Eltern wissen zwar, dass sie dort bei einer Tante ist, aber nicht, warum sie so überstürzt weg wollte.
Zwischen Istanbul und Berlin
Sie streift allein durch Istanbul und fällt auf, weil sie rothaarig ist; „Terbiyeli ol!“, was so viel heißt wie „benimm dich“ schimpft eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn, der sie neugierig anstarrt.
Sie selbst fühlt sich als Deutsche und Türkin, hat gerade die 10. Klasse abgeschlossen, aber den Übergang aufs Gymnasium verpasst. Das ist allerdings nicht der einzige Grund, warum sie erstmal abhauen wollte: Ihr Freund Daniel hat mit ihr Schluss gemacht, weil sie auf der Abschlussfahrt ihrer Klasse mit einem anderen rumgeknutscht hat, ihre beste Freundin Edibe trägt jetzt Kopftuch und wird in ihren Augen immer konservativer und ihre Schwester ist magersüchtig - alle Gedanken ihrer Eltern scheinen nur noch um sie zu kreisen und dann taucht auch noch Hacke in ihrem Leben auf.
Hacke
Was sie nach Istanbul geführt hat, wird rückblickend erzählt. Als sie sich frustriert und unachtsam durch Berlin treiben lässt, wird sie beinahe von einem Auto erfasst; sie ist leicht am Fuß verletzt und steht wohl auch ein wenig unter Schock, das Auto fährt weiter und Hacke hilft ihr, sie gehen zu ihm nach Hause und aus einer plötzlichen Laune heraus nennt sie ihm einen falschen Namen – Gabi.
Bei ihm herrscht das pure Chaos, die Küche sieht so aus, wie Gülay sich fühlt. Die beiden landen ziemlich unvermittelt gemeinsam im Bett, Gülay verliebt sich heftig und erkennt zu spät, an wen sie da geraten ist: Hacke nimmt sie mit zu seinen Pitbull-Freunden, die sich offen rassistisch verhalten, allerdings nicht ihr gegenüber, sie ist schließlich die rothaarige, deutsche Gabi. Aber sie beschimpfen den vietnamesischen Imbissbesitzer und hauen ab, ohne zu bezahlen. Nachts kommt es noch schlimmer, da ist Gabi/Gülay aber schon schlafen gegangen. Hätte sie zur Polizei gehen sollen oder kann sie sich einfach raushalten? Dieser Gedanke verfolgt sie bis nach Istanbul.
Zwischen den Kulturen
Eva Lezzi lässt ein junges Mädchen von den Schwierigkeiten erzählen, sich zwischen zwei Kulturen zu bewegen. Ihre Familie lebt zwar keineswegs traditionell, aber gerade auf dem Weg zum Erwachsenwerden stellen sich die Fragen nach den eigenen Wurzeln besonders intensiv. Bei Edibe ist es das Kopftuch, der traditionell servierte Tee und ihre Begrüßung am Telefon „Efendim“, was Gülay eher lächerlich findet. Ihr geht es um sexuelle Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.
Lezzi beschreibt das Gefühlschaos von Gülay, ihre Ängste und Unsicherheiten einfühlsam und überzeugend. Ihre Entscheidung, in die übliche Jugendsprache immer wieder türkische Begriffe einzufügen, ist sinnvoll. Wenn eine Freundin in Istanbul dann allerdings ihre Cousine als „Orosbu!“ (eigentlich orospu) bezeichnet, dürfte das über den klassischen Urlaubswortschatz hinausgehen. Es ist nicht der einzige, sehr spezielle Begriff, weshalb ein Glossar hilfreich wäre, um die Atmosphäre in der Geschichte besser einordnen zu können.
(Iris Knappe)
Eva Lezzi, *1963 in New York, aufgewachsen in Zürich, die freie Autorin von Kinder- und Jugendbüchern mit transkulturellen Erfahrungen lebt in Berlin
Eva Lezzi „Kalter Hund“
Hentrich & Hentrich 2021, 164 Seiten, 12,90 Euro
Ab 14 Jahren
Weiterer Buchtipp zu Eva Lezzi
"Die Jagd nach dem Kidduschbecher"