Herbert Günther
Der Widerspruch
Reni, Robert, Jonas und Britta gehen auf dieselbe Schule und müssen sich mit den Erziehungsvorstellungen eines strengen Klassenlehrers auseinandersetzen, der auf seine Zeit als Jagdflieger im II. Weltkrieg noch immer stolz zu sein scheint.
Der Geist der alten Zeit
Auch die anderen Erwachsenen im Roman sind zumeist noch vom Geist der NS-Zeit geprägt. Ihr Interesse gilt vor allem dem wirtschaftlichen Aufschwung. An die Vergangenheit wollen sie nicht erinnert werden. Jede Art von Kritik daran oder gar eigenes Denken betrachten sie als Undankbarkeit.
Britta kam mit ihren Eltern kurz vor dem Mauerbau aus Stralsund in den Westen. Zusammen mit Robert arbeitet sie für die Schülerzeitung ihrer Schule. Die beiden sind mit Begeisterung dabei. Eine junge Lehrerin fördert ihr Engagement und lässt ihnen viel Freiheit bei der Auswahl der Themen. Bis schließlich der Rektor unerwartet auf einer Redaktionssitzung auftaucht und die Schülerzeitung in eine Aktiengesellschaft umwandelt, von der selbstverständlich er die Mehrheit der Aktien hält. Britta gerät mit ihm darüber in Konflikt und wird der Schule verwiesen.
Gehorsam und Aufbegehren
Die vier finden sich schließlich sogar im Visier der Polizei wieder:
„Schüler unter Verdacht. War der Anschlag auf das Haus des Bankdirektors die Tat politisch aufgehetzter Jugendlicher?“ Ein junger Kommissar wird mit der Aufklärung betraut und muss feststellen, dass seine Untersuchungsergebnisse gar nicht erwünscht sind. Die alten, ewig gestrigen Kräfte sind noch zu stark in der jungen Bundesrepublik. „Das wäre ja ein Ding, wenn der fette Geldsack auch noch eine braue Vergangenheit hätte.“ Darüber hinaus geht es um die Haltung der Gesellschaft gegenüber Deserteuren: Wie kommt Jonas damit zurecht, dass sein Vater als Feigling gilt?
„Bis zum heutigen Tag sagen sie das: Deserteure sind Feiglinge. Als wenn es mutiger gewesen wäre, weiter Menschen umzubringen in diesem Unrechtskrieg. Ein Feigling haben sie gesagt, er wäre ein Feigling ...“.
Das Wirtschaftswunder wird ebenso thematisiert wie die Ablehnung der Niederländer gegenüber Deutschen und der Kalte Krieg in den 1960er und -70er Jahren:
„Im Westen wohnt der Klassenfeind … Im Westen haben die kalten Krieger das Sagen, und wenn wir nicht aufpassen, dann werden sie uns überrollen.“
Insgesamt ein bisschen viel, was der Autor da auf 219 Seiten unterzubringen versucht.
Umbruch in der Nachkriegszeit
Der Roman ist aus den wechselnden Perspektiven der Jugendlichen erzählt. Hinzu kommen Auszüge aus Zeitungsartikeln, um Einblick in die politischen Entwicklungen zu geben, den Zeitgeist nach 1945 zu zeichnen, von Umbruch und schweigenden Eltern zu erzählen. Jugendliche, die die 1960er Jahre nur noch aus den Erzählungen ihrer Großeltern kennen, können dabei allerdings schnell den Überblick verlieren. Die Kernbotschaft aber ist auch heute noch aktuell und lautet kurz gefasst: Denkt selbstständig und widersprecht, wenn es nötig ist: „Wer widerspricht, muss dazu stehen.“
Es gibt nur wenig Jugendliteratur, die sich mit der Geschichte dieser Jahre beschäftigt. Ein wichtiger Roman also, auch wenn der Text überfrachtet ist. Das macht die Lektüre für Jugendliche nicht gerade einfach. Der Verlag hat das Cover, wie so oft bei Gerstenberg, liebevoll und ideenreich gestaltet, historische Bezüge und der Blick in die Weite gehen hier bereits optisch Hand in Hand.
(Iris Knappe)
Herbert Günther, *1947, lebt in Friedland bei Göttingen. Nach einer Buchhandelslehre arbeitete er als Lektor sowie als Leiter einer Kinderbuchhandlung. Seit 1988 ist er freier Schriftsteller.
Herbert Günther „Der Widerspruch“
Roman, Gerstenberg 2017, 219 Seiten, 16,95 Euro
ab 14 Jahren
Der Verlag stellt kostenloses Unterrichtsmaterial zum Download zur Verfügung:
www.gerstenberg-verlag.de
http://www.gerstenberg-verlag.de/fileadmin/Mediathek/KiGa_Schule/Widerspruch_Unterrichtsmaterial.pdf