Julya Rabinowich
Dazwischen: Ich
"Wo ich herkomme? Das ist egal. Es könnte überall sein. Es gibt viele Menschen, die in vielen Ländern das erleben, was ich erlebt habe. Ich komme von Überall. Ich komme von Nirgendwo. Hinter den sieben Bergen. Und noch viel weiter. Dort, wo Ali Babas Räuber nicht hätten leben wollen. Jetzt nicht mehr. Zu gefährlich."
Fliehen und nicht ankommen
Madina ist mit ihrer Familie vor dem Krieg geflohen. Der Vater hat in ihrem Heimatland die "falschen" Menschen medizinisch versorgt. Dort wurde sie von ihm wie eine Erwachsene behandelt; sie wusste von den im Keller versteckten verletzten Soldaten, hat sogar bei ihrer Versorgung geholfen.
Jetzt leben sie, bis ihr Asylantrag entschieden ist, auf engstem Raum in einer Flüchtlingsunterkunft. Der Vater ist bei Behördengängen auf ihre Hilfe angewiesen: Sie übersetzt für ihn. Die Tante starrt die ganze Zeit nur aus dem Fenster, wirkt verstört und traumatisiert; außerdem gibt es einen Konflikt aus der Vergangenheit zwischen ihr und dem Vater, den Madina nicht versteht.
Traditionelle Vorstellungen
Sie selbst leidet besonders darunter, anders zu sein als ihre Mitschüler. Sie fühlt sich immer ein wenig "dazwischen". In Laura findet sie jedoch bald eine Freundin, die zu ihr steht und mit der alles ganz normal ist.
"Ich habe langes Haar. Bis zur Hüfte. Ich habe früher viel gelacht. … Und ich habe schon Menschen sterben sehen. So. Wer das weiß, weiß mehr von mir als die meisten hier."
Madina will leben und sich verlieben wie jede 15-jährige, aber als Laura ihren Geburtstag mit einer Party feiert, wird der Vater plötzlich traditionell, der Bruder soll mitgehen und den männlichen Aufpasser spielen. Am Schluss geht es dann wirklich um Leben und Tod, denn der Vater muss aus familiären Gründen zurückkehren, Madina und die anderen bleiben.
Mehr als eine Fluchtgeschichte
Den Vater kann man in seiner Wut und Hilflosigkeit bedauern und in seinen Ängsten manchmal sogar verstehen. Rabinowich schafft vor allem starke Frauenfiguren: Madina und Laura und ihre Mütter. Denn auch in Lauras Familie ist nicht alles perfekt, der Vater war gewalttätig. Das hat Laura lange vor der Freundin verborgen. Gemeinsam schaffen es die beiden, sich allen Schwierigkeiten zu stellen.
Ein hochaktuelles Thema – ankommen in einer anderen Kultur, Ängste und Traumata im Gepäck, gutwillige Helfer, die oft gar nicht merken, wie verletzend sie sind.
"Lauras Mutter hat Papa Einweckgläser mitgegeben … Einen Kühlschrank haben wir ja keinen, und sie hat mitgedacht. Mitgedachte Hilfe ist die allerbeste."
Mit Madina erzählt ein starkes und verletzliches Mädchen aus ihrem Leben, in dem sie sich zur Wehr setzen und schon viel zu viel Verantwortung übernehmen muss. Die Autorin findet für die Fünfzehnjährige eine überzeugende Sprache. Ein Jugendromandebüt, das überaus gelungen ist.
(Iris Knappe)
Julya Rabinowich, *1970 in St. Petersburg, ab 1977 aufgewachsen in Wien, österreichische Schriftstellerin, Dramatikerin, Malerin und Simultandolmetscherin
Julya Rabinowich "Dazwischen: Ich"
Hanser Verlag 2016, 256 Seiten, 15 Euro
eBook 11,99 Euro
empfohlen ab 14 Jahren