Stefanie Höfler
Tanz der Tiefseequalle
Niko ist fett, sehr fett, schwabbelig wie eine Qualle. Sera hingegen ist schön, sie ist mit ihrem Körper zufrieden, kann sich gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, mit sich und seinem Körper nicht im Reinen zu sein.
Supernikobrause gegen Mobbing
Niko wird wegen seines Aussehens gemobbt. Seine Mitschüler, allen voran Marko, klauen seine Sachen, rufen ihm fiese Bemerkungen hinterher, und im besten Fall ignorieren sie ihn einfach. Vor allem der Sportunterricht ist eine Qual. Dabei ist er ein ideenreicher In-Gedanken-Erfinder: Er malt sich Dinge aus, die ihn retten könnten, auch wenn sie komplett unrealistisch sind.
Wenn wieder mal der Rucksack hoch oben im nächsten Baum hängt, entsteht zum Beispiel der Sprunganzug: "In den Anzug aus Naturkautschuk würde man von oben hineinsteigen, und unten an den Füßen wären zwei Sprungfedern, die so sensibel auf Druck reagieren, dass man damit genau so hoch springen kann, wie es gerade nötig ist."
Außerdem fantasiert er sich noch Dinge wie die Supernikobrause, den Kondensstreifen-Einsammler oder den Lachdekodierer zusammen. Als eine Klassenfahrt bevorsteht, muss er sich entscheiden, ob er seine Oma, bei der er wohnt, beunruhigt und nicht mitfährt oder ob er die Fahrt irgendwie durchsteht. Er fährt mit und als Marko ihn im Schwimmbad wieder triezt, wehrt er sich zum ersten Mal - mit einer Arschbombe direkt vor seiner Nase. Schließlich verteidigt er sogar Sera, als Marko sie begrapschen will. Und plötzlich gibt es zwei Ausgegrenzte.
Schöne Prinzessin
Niko und Sera erzählen die Geschichte jeweils aus ihrer Sicht. Sera bewundert seine Selbstsicherheit. Niko merkt, dass sich zum ersten Mal jemand für ihn interessiert und dann auch noch das beliebteste Mädchen der Klasse, das nicht nur Sera = Prinzessin heißt, sondern auch so aussieht. Beide Figuren haben eine ganz eigene Sprache – selbstironisch, schlagfertig und originell, das liest sich humorvoll und witzig. Stefanie Höfler zeichnet ihre Figuren liebevoll und mit viel Humor. Als Sera Niko zum Tanzen auffordert, schildert er den Tanz so:
"Ich schwebe weiter, eine Tiefseequalle, weit unter der Oberfläche, ganz ohne Gewicht. Andere Leute würden das als Mobbing der Sonderklasse bezeichnen, aber komischerweise ist es das für mich gar nicht, denn während des Spottgewitters halte ich mich immer noch an Sera fest beziehungsweise sie sich an mir, und ich tanze weiter, ...“
Cool oder nicht
Die beiden müssen ihre Erwartungen und Vorstellungen vom anderen immer wieder auf den Prüfstand stellen und der Leser mit ihnen. Erst traut sich Sera nicht, Nikos Gewicht zu erwähnen, dann fragt sich Niko, ob Sera ihn überhaupt meinen kann. Seras Bruder bringt ihre Ängste auf den Punkt:
"Ihr hattet ‘ne gute Zeit, der ist schlau, sogar witzig, was man hört … Und dann sieht der eben so aus. So, dass man echt unmöglich mit dem zusammen sein kann. Eigentlich.“
Vielleicht kann man eine "Tiefseequalle" doch mögen, auch wenn ein fetter Freund ganz sicher nicht cool ist.
Die große Stärke des Romans: Er beschränkt sich nicht auf das Thema Mobbing, sondern zeigt darüber hinaus die langsame Annäherung von zwei Jugendliche, die in ihrer Verschiedenheit Kraft und Stärke finden und sich zu wehren lernen. Hier werden zwei erwachsen, die man gern kennenlernen möchte.
(Iris Knappe)
Stefanie Höfler arbeitet als Lehrerin und Theaterpädagogin. Ihr Roman "Mein Sommer mit Mucks" wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2016 nominiert. Der "Tanz der Tiefseequalle" hat den Luchs des Monats März 2017 von Radio Bremen erhalten.
Stefanie Höfler "Tanz der Tiefseequalle"
Beltz & Gelberg Verlag 2017, 192 Seiten, 12,95 Euro
eBook 11,99 Euro
Ab 12 Jahren
Weiterer Buchtipp zu Stefanie Höfler
"Der große schwarze Vogel"