Rindert Kromhout
Brüder für immer
"Brüder für immer?', sagte ich. 'Brüder für immer!', sagte Julian. ... Du wolltest doch ein Buch über mich schreiben. Nenn es Brüder für immer. ...' 'Ja, wenn du vor mir stirbst', sagte ich. 'Nur dann werde ich ein Buch über dich schreiben.' David startete den Motor. 'Stirb bitte nicht', sagte ich. Sie fuhren davon. Wir winkten. Julian blickte sich nicht um."
Eine ungewöhnliche Kindheit
Der Ich-Erzähler Quentin und Julian sind Brüder und beste Freunde. Quentin, der Jüngere, ist literarisch begabt, der Ältere eher politisch engagiert. Die beiden erleben eine für die Zeit (1925 - 1937) höchst ungewöhnliche Kindheit und Jugend. Die Eltern leben in einer freien Beziehung. Die Mutter, die Malerin Vanessa Bell, bewohnt mit den Kindern und ihrem bisexuellen Malerkollegen Duncan das Landhaus Charleston. Die Kinder erleben Duncans wechselnde Liebschaften; der Vater bringt bei seinen Besuchen jedes Mal eine neue Freundin mit, und die Nachbarn ziehen sich angesichts dieser unkonventionellen Lebensverhältnisse zurück.
Verzauberte Welt
Das Landhaus Charleston liegt in den Hügeln von Sussex und wird von Vanessa und Duncan fantasievoll ausgeschmückt und dekoriert – ein märchenhaftes Haus. Die Brüder werden zu Hause unterrichtet und leben in einer eigenen Welt, bauen ein Baumhaus, spielen mit Pigling dem Schwein, das jedes Jahr zu Weihnachten auf wundersame Weise verschwindet und durch ein neues Schwein ersetzt wird, bis endlich "Pigling die Meine" kommt, die bleiben darf. Es gibt noch eine kleine Schwester, Angelica, die ebenfalls in dieser Märchenwelt lebt, und das neue Dienstmädchen mit den langen Zähnen entsprechend einordnet:
"Sie ist ein verzaubertes Kaninchen", sagte Angelica. "Sie ist die Zahnfee", flüsterte ich. Angelica schüttelte den Kopf. "Kaninchen."
Politische Entscheidung
Nicht weit entfernt lebt auch Virginia Woolf; sie ist Quentins Tante und fördert seine literarischen Ambitionen. Man trifft sich zu Kostümfesten und führt kleine Theaterstücke auf, deren Besetzungsliste dann gern so aussieht:
"Kaiser von Burgund: Virginia, Frau des Kaisers: Duncan, Thron des Kaisers: Lytton, Hund des Kaisers: Leonhard ... "Ich wollte schon immer mal der Thron sein", sagte er. "Was für ein wunderbares Theaterstück!" Wenn wir Theater spielten war Lytton gern ein Möbelstück und keine Person."
Gegen Ende des Romans rücken Julians Entwicklung und seine Entscheidung, auf Seiten der internationalen Brigaden in den spanischen Bürgerkrieg zu ziehen, zunehmend in den Mittelpunkt. Quentin muss akzeptieren, dass sein Bruder erwachsen wird und auch durch die politischen Unruhen in Europa die gemeinsame Kindheit zu Ende geht. Die faschistischen Bewegungen in Italien, Deutschland und Spanien werden von allen in Charleston mit Sorge beobachtet.
Sprachwitz trifft Toleranz
Mit großer Leichtigkeit erzählt der Autor von den ungewöhnlichen Erfahrungen der Kinder – das gilt auch für die traurigen. Was Kromhout in seinem genau recherchierten Roman vermittelt, ist nicht nur eine individuelle Coming of Age Geschichte, sondern auch ein für diese Zeit ganz neuer Blick auf eine Gruppe von Künstlern und Wissenschaftlern, die freigeistig und unkonventionell leben wollte – anders als die Mehrheit der Bevölkerung. Beim Leser werden große Sympathien dafür geweckt. Gleichzeitig wird das bisher in der Kinder- und Jugendliteratur selten behandelte Thema des aufkeimenden Faschismus in Europa anhand von Julians Entscheidung erzählt.
(Iris Knappe)
Rindert Kromhout, *1958 in Rotterdam, gewann mit "Brüder für immer" den renommierten niederländischen Jugendbuchpreis Gouden Lijst. Aufgrund der Perspektive des zu Beginn erst 6-jährigen Ich-Erzählers kann man den Roman für Leser ab 12 Jahren (Verlagsempfehlung ab 14 Jahren) empfehlen.
Rindert Kromhout "Brüder für immer"
"Soldaten huilen niet" übersetzt aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann
Verlag MIXTVISION 2016, 252 Seiten, 14,90 Euro
eBook 11,99 Euro