Zoran Drvenkar
Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück
„Kai spürt einen Kloß im Hals. Es ist nicht das erste Mal, dass sein Großvater sich nicht erinnert. Aber es ist das erste Mal, dass Kai das Gefühl hat, sein Opa würde ihm ernsthaft entgleiten. Wie eine Seifenblase, die davon geweht wird, denkt er …“
Das Jetzt entgleitet
Kai und Opa sind beste „Kumpel“. In Kais Augen ist Opa ein Held, er hat ihm immer wieder von seinen Heldentaten und Erlebnissen im Krieg erzählt, doch jetzt verliert er langsam sein Gedächtnis, und Kai reist mit ihm in die Vergangenheit, um ihn nicht nach und nach an das Vergessen zu verlieren.
„,Junge, sieh mich doch mal an‘, unterbricht ihn Opa erneut. ‚Ich habe keine Ahnung, wer ich bin. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Und wenn ich ganz ehrlich bin…‘ Er lächelt entschuldigend … , habe ich auch keine Ahnung, wer du bist.‘‘”
Eigentlich soll er schon mal helfen, Opas Koffer für das Pflegeheim vorzubereiten, doch sie ziehen gemeinsam los, um Opas Vergangenheit wiederzubeleben.
„Du hast dich verlaufen, Opa. Aber keine Sorge, das bekommen wir wieder hin. Wir holen dich aus dem Krieg zurück und dann wird alles wieder gut.“
In der Vergangenheit gefangen
Der Autor schildert diese surreale Reise in die Vergangenheit in beeindruckenden Szenen. Immer wieder landen die beiden in den Situationen, die Kai aus früheren Erzählungen zu kennen meint. Die beiden wachen unter einem Baum auf, mitten im Krieg, um sie herum Opas alte Kameraden: Wo er in seinen Erzählungen mit bloßen Händen gegen zehn feindliche Soldaten gekämpft hat, stellt er sich nun tot, um zu überleben. Sein Auge hat er auch nicht bei der Rettung seiner Kameraden verloren, und natürlich erleben wir das Kriegsende neu, das er angeblich allein durch zwei Anrufe bei den Präsidenten der gegnerischen Länder herbeigeführt hat. Der Held wird Stück für Stück entzaubert, und Kai merkt, wie schwer es ist, sich „richtig“ zu erinnern. In der erträumten Vergangenheit kann er die Gefühle des Großvaters nachvollziehen und mit ihm alle Stationen des Krieges erleben, sogar das Gefangenenlager ist scheinbar ganz real.
Eine fantastische Zeitreise
Ein Großvater, der nie ganz aus dem Krieg zurückgekommen ist und langsam dem Vergessen anheimfällt – das klingt erstmal nach einer deprimierenden Geschichte. Aber Zoran Drvenkar schafft durch Situationskomik und die Erzählperspektive, die nötige, manchmal ironische Distanz.
Die fantastische Idee, in die Vergangenheit zu reisen und die Zeit selbst sprechen zu lassen, ist eine geschickte und zugleich heitere Herangehensweise:
„Sie schauen auf das Ziffernblatt und sehen die Zeit. Die Zeit tut so, als wäre nichts Besonderes geschehen, und erwidert ihren Blick.“
Dass nie Bezug auf einen konkreten Krieg genommen wird, macht den Roman zeitlos:
„Jetzt sitzt ihr bestimmt ratlos da und blättert in den Geschichtsbüchern und wundert euch, welcher Krieg das wohl gewesen ist und in welchem Land er stattgefunden hat. Es ist kein Krieg, den ihr kennt. Es ist ein Krieg, der immer und überall passieren kann und für uns nur in dieser Geschichte passiert.”
Ein Antikriegsroman für Kinder ab 11 Jahren, der von der Grausamkeit des Krieges erzählt und dem Trauma des Großvaters durch eine virtuelle Reise in die Vergangenheit begegnet – ein eindrucksvolles Zeugnis gegen die Grausamkeit militärischer Auseinandersetzungen.
(Iris Knappe)
Zoran Drvenkar, *1967 in Kroatien, zog als Dreijähriger mit seinen Eltern nach Berlin, freier Schriftsteller mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, schreibt Romane, Gedichte und Theaterstücke über Kinder, Jugendliche und Erwachsene lebt in der Nähe von Berlin.
Zoran Drvenkar „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“
ausgezeichnet mit dem LUCHS im März 2023
Hanser Verlag 2023, 160 Seiten, 17 Euro
eBook 12,99 Euro
ab 11 Jahren