Dennis Lehane
Am Ende der Welt
Joe Coughlin ist ein geschätztes Mitglied der ehrbaren Gesellschaft von Tampa geworden. Auf seiner Wohltätigkeitsveranstaltung für die US-Soldaten, die in Europa kämpfen sollen, treffen sich die Mitglieder der alteingesessenen Familien mit denen des Mafiaclans der Bartolos, ohne dass die illegalen Geschäfte je zum Thema werden.
Störenfried
Angesichts des Krieges amüsiert man sich und verschließt die Augen vor den weitverzweigten Machenschaften des Gangstersyndikats, das nach dem Ende der Prohibition längst die Schaltstellen der Macht besetzt hat und den Krieg zur willkommenen Einnahmequelle macht. Störend nur, dass Joe Coughlin einen Geist sieht, einen spielenden Jungen in altmodischen Kleidern.
Im Sinne Shakespeares
Ned Lenox, der Arzt der Mafia, zu dem er geht und der seine eigenen Gespenster hat, kann ihn zwar beruhigen: Einen Hirntumor hat er nicht. Doch das gewalttätige Leben auf der dunklen Seite fordert seinen Preis - ganz im Sinne von Shakespeares düstersten Helden:
"Alle Menschen, die er in dieser Welt getroffen hatte, waren Gefangene ihrer Sünden, Geiseln dessen, was in ihnen zerbrochen war … Man wurde ein Teil dieser Welt, weil die eigenen Sünden oder Sorgen sich so ungeheuerlich vervielfacht hatten, dass man für ein anderes Leben gar nicht mehr geeignet war."
Gangster wider Willen
Dennis Lehane erzählt in diesem dritten Band seiner Trilogie über seinen irischen Gangster wider Willen, wie aussichtslos es ist, auf ein anderes Leben zu hoffen. Zehn Jahre nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau hat Joe Coughlin die Drecksarbeit anderen überlassen, spielt den Brückenkopf der Mafia für die feine Gesellschaft und will vor allem seinen Sohn in Frieden aufziehen.
"Du wirst mich oft anzweifeln, während du älter wirst, dachte Joe, als er seine Hand in den Nacken seines Sohnes legte und dort liegen ließ, aber du wirst dich niemals ungeliebt, unerwünscht oder einsam fühlen."
Doch Lehane, seit "Mystic River" kein Geheimtipp mehr, entwickelt mit großer Spannung, dass die Gesetze der Gangsterdynastien wenig Rücksicht auf die Ambitionen und Hoffnungen einzelner vorsehen, und Coughlin erfährt, dass ein Mörder auf ihn angesetzt wurde. Er weiß nicht, warum und macht sich auf die Suche, denn die Zeit ist knapp. So gerät er immer mehr ins Zentrum der Machtkämpfe rivalisierender Clans und gieriger Nachwuchsgangster.
Zorn und Schmerz
Lehane zeichnet mit knappen Strichen eine Welt voller Gewalt und Zorn, mit glaubwürdigen und vitalen Typen ohne Moral, aber mit dem Ehrencodex ihrer Clans als einzigem Gesetz. Joe Coughlin hebt sich nur dadurch von ihnen ab, dass er nicht nach den Regeln wilder Tiere spielen will. Was ihm jetzt von seinen Bossen abverlangt wird, kann er nicht mehr ohne weiteres liefern, denn es soll Männer treffen, die er schätzt. Zorn und Schmerz hat er zu lange tief in Teilen seiner Seele vergraben:
"Mit sechsunddreißig, nach zwanzig Jahren auf der falschen Seite des Gesetzes, hatte er viele solcher Teile. Sie waren verschlossen und überall in seinem Inneren gelagert. Er fragte sich, ob sie vielleicht einmal alle gleichzeitig aufplatzen würden und ob das dann sein Tod sein werde."
Gangster-Epos
"Am Ende einer Welt" lässt sich als Entwicklungsroman lesen, über einen Mann, der Schaden an seiner Seele genommen hat und aus seinen Verpflichtungen nicht mehr herausfindet. Ein Gangster-Epos, das die Frage nach der Verantwortung der Väter stellt und nach dem Preis, der für jedes Versagen zu zahlen ist – und ein atemberaubend spannendes Buch, das unbedingt verfilmt werden sollte!
(Lore Kleinert)
Dennis Lehane *1965 in Dorchester, Massachusetts, US-Schriftsteller irischer Abstammung, lebt in Los Angeles und Boston
Dennis Lehane "Am Ende der Welt"
"World Gone By" übersetzt von Steffen Jacobs
Diogenes 2015, 400 Seiten, 24,00 Euro
eBook 20,99 Euro