Don Winslow
City of Dreams
„…ferne Verbannungen jetzt
und verlassene Lande zu suchen,
treibt uns hinweg der Götter Verkündigung…“
(Vergil, Aeneis, Dritter Gesang)
Ein neues Leben
Im zweiten Band von Don Winslows Abschiedstrilogie, nach ‚City of Fire‘, flüchtet Danny Ryan mit kleinem Sohn und greisem Vater und mit den Überlebenden des Kampfes zwischen irischer und italienischer Mafia in Providence/Rhode Island ins gelobte Land Kalifornien. Wer Homers großen Gesang über das Ende von Troja und Aeneas‘ Suche nach einem neuen Leben kennt, weiß, dass die Schicksalsgötter selten lange freundlich gesonnen sind. Zunächst scheint die Flucht zu gelingen, denn Danny hält den Ball flach, für ein neues, sauberes Leben. Doch FBI und italienischer Mob geben ebenso wenig auf wie die mexikanische Drogenmafia, die von den Iren übers Ohr gehauen und um große Mengen Heroin gebracht wurde.
Sucht nach Profit
Und als ein Filmstudio die Geschichte des Mafiakriegs verfilmt, überschneidet sich die Gier einiger ziemlich dämlicher Getreuer Dannys mit der der Filmwelt, die die Authentizität der Gangster ausnutzen will. Dannys Versuch, als Produzent im Filmgeschäft Fuß zu fassen, erweist sich als Sackgasse. Winslow kennt das Business und spiegelt auf faszinierende Weise die Gangsterrealität in seiner Abbildung im Film. Beide ‚Geschäftszweige' werden gleichermaßen getrieben von kapitalistischer Sucht nach Profit und Aufstieg.
„Das Gesicht des Schauspielers verzerrt sich zu einem angewiderten, spöttischen Grinsen. Er zieht an seiner Zigarette, legt sie vorsichtig in den Aschenbecher und faucht: Liebe? Was für eine Scheisse…“ Den alten Murphy haben sie wirklich sehr gut getroffen, denkt Danny. Er hat Geld geliebt, außerdem Macht und seine Söhne, aber das war’s, mehr gab es für ihn nicht.“
Rachsüchtige Polizistin
Er selbst liebt vor allem seinen Sohn, doch als er sich in die schöne und gefährdete Hauptdarstellerin des Films verliebt, ist sein Gesicht überall in der Yellow Press abgebildet. Während er mit dem einen FBI-Agenten einen Deal macht, verfolgt ihn längst ein anderer, und eine rachsüchtige Polizistin zieht die Fäden dieser Jagd auf ihn. Schonungslos lotet Winslow den Rahmen aus, in dem Danny Ryan seine Chancen suchen und verteidigen muss, und dieser begrenzte Raum bietet kaum Möglichkeiten moralischen Handelns. Doch der Autor zeichnet in seinem bekannten sarkastischen Sound ein wahrhaftiges Bild eines Mannes aus der amerikanischen Unterschicht, frei von Klischees und mit viel Geschick, seine wenigen Möglichkeiten zu nutzen. Der Bezug zu Vergils Gesängen aus der Aeneis beleuchtet das Leben des irischen Mafioso mit dem Glanz uralter Heldensagen, ohne seine Gewalttätigkeit und die Amoralität seiner Umgebung zu verharmlosen.
„Danny sollte sie alle töten. Die Mexikaner und die Italiener auch. Aber so ist Danny nicht. Das war schon immer sein Problem – er glaubt noch an Gott. An Himmel und Hölle und den ganzen gefühlsduseligen Mist. Ein paar Leute hat er auf dem Gewissen, aber er hat immer nur in Situationen getötet, in denen er sonst selbst draufgegangen wäre.“
Und dieser ironische Hinweis auf seine selbstgezimmerte Moral sorgt immer wieder für überraschende Wendungen in diesem zweiten, hochspannenden Band, „City of Dreams“. Winslow selbst lebt in Kalifornien und Rhode Island, kennt seine Schauplätze genau und knüpft hier an die besten seiner mittlerweile 22 Romane über die Kehrseite des amerikanischen Traums an.
(Lore Kleinert)
Don Winslow, *1953 in New York, Autor von zahlreichen preisgekrönten internationalen Bestsellern, ehemaliger Privatdetektiv, Antiterrorausbilder und Prozesssachverständiger lebt in Kalifornien
Don Winslow „City of Dreams“
aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch
Thriller, Harper Collins 2023, 367 Seiten, 24 Euro
eBook 17,99 Euro