James Kestrel
Fünf Winter
Im Winter 1941 herrscht in Honolulu Sommerhitze, und noch sind die USA nicht Kriegspartei. Als Detective Joe McGrady zu einem Tatort beordert wird, ahnt er nicht, dass er den Fall erst fünf Winter später abschließen wird.
Vorboten des Krieges
Ein junges Paar ist bestialisch abgeschlachtet worden, einer der Mörder wird am Tatort erschossen, doch der eigentliche Drahtzieher entkommt. Das weibliche Opfer, Japanerin, bleibt zunächst unbekannt. Weil der Onkel des jungen Mannes Kommandeur der US-Flotte im Pazifik ist, wird McGrady auf die Fährte eines rücksichtslosen Sadisten gesetzt, der unter dem Namen John Smith reist. Doch bevor der Detektiv nach zäher Verfolgungsjagd über mehrere pazifische Inseln den Täter in Hongkong entdeckt und verhaften kann, beginnt Japan den Krieg gegen die Westmächte, hoch gerüstet und rücksichtslos. McGrady als ehemaliger Offizier kann die Vorboten des Kriegs erkennen.
„Er war von einer amerikanischen Militärbasis abgeflogen und unterwegs durch vier weitere gekommen. Bei jedem Stopp hatte er Flugfelder voller Bombenflugzeuge gesehen, Torpedoboote und massive Erdarbeiten im Umfeld der Küstenbatterien. Alles war unter großen Kosten und Mühen gebaut oder verstärkt worden, um einer einzigen Bedrohung entgegenzutreten. Jeder hatte gewusst, welcher Sturm bevorsteht.“
Spion hinter Gittern
Dieser Sturm, dem auch die Briten in Hongkong nicht standhalten können, fegt den Ermittler in eine Richtung, die die weitere Jagd auf den Mörder unmöglich macht. Zunächst landet er als potentieller Spion hinter Gittern, dann, gerettet vom Onkel der ermordeten jungen Frau, bis zum Kriegsende in Tokio. Takahashi, Diplomat im japanischen Außenministerium, entspricht keineswegs dem Bild des kriegslüsternen Angreifers, und er hat ein persönliches Interesse an der Ergreifung des Mörders seiner Nichte. Wie alle seine Personen hat Kestrel ihn klischeefrei und glaubwürdig gezeichnet.
„Sind Sie Pazifist?“ „Würde Sie das überraschen?“ „Ein bisschen.“ “Viele von uns denken so. Unsere Stimmen wurden nicht gehört. Wir haben vernünftig argumentiert. Andere haben Schwerter geschwungen und geschrien. Es war kein fairer Wettbewerb.“
Alle Schauplätze seiner langen Reise sind vom Autor atmosphärisch fein und historisch bestens recherchiert und präzise ausgemalt. Gewalt und Grausamkeit werden in seinem Thriller niemals glorifiziert, und Kestrel gibt den meist unsichtbaren Akteuren hinter der Szene, Soldaten, Polizisten, Kolonialbeamten, anschauliche Kontur.
Wehrhafter Held
Wie in einer russischen Puppe stecken in diesem Thriller über die Jagd nach einem sadistischen Mörder zugleich ein Kriegsepos und sogar eine Liebesgeschichte. McGrady hält lange daran fest, dass er seine Verlobte auf Honolulu wiedersehen wird, nicht ahnend, dass ihr sein Tod gemeldet wurde. Und im japanischen Versteck in Tokio lernt er Takahashis Tochter Sachi näher kennen und lieben.
“Er schloss die Augen und spürte, wie er dahintrieb. Körperlos, unverbunden. Vor einem Jahr hatte er angefangen, auf Japanisch zu träumen. Selbst im Schlaf blieb er innerhalb der Gartenmauer, weil es draußen nicht sicher war. Er konnte sich nicht an das Gesicht seines Bruders erinnern. An Mollys Gesicht. Sein Leben gab es nicht mehr. Es hatte gerade begonnen.“
Kestrel hat mit seinem hartnäckigen und durchaus wehrhaften Helden einen lernfähigen Mann geschaffen, der sich von seinen Erfahrungen leiten lässt und seine aufmerksame Empathie auch unter schwierigsten Umständen bewahrt. Die Jagd nach dem Auftragsmörder lässt ihn jedoch auch nach Kriegsende nicht ruhen, und der Roman nimmt eine weitere, unerwartete und höchst spannende Wendung.
„Denn ein Mann wird alles gewinnen, der andere alles verlieren. Es gibt kein Unentschieden.“
(Lore Kleinert)
James Kestrel ist ein Pseudonym von Jonathan Moore, Anwalt und Romancier, lebt auf Hawai.
James Kestrel "Fünf Winter"
aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Lux
Thriller, Suhrkamp Verlag 2023, 498 Seiten, 20 Euro