Joseph Kanon
Die Istanbul Passage
Leon Bauer, amerikanischer Geschäftsmann in Istanbul und Teilzeitagent, übernimmt einen letzten Auftrag für den US-Geheimdienst – er soll einen Mann in Empfang nehmen, der illegal ins Land geschleust wurde. Doch bei der Übergabe muss er einen Angreifer erschießen – und erfährt, dass es sein Auftraggeber war.
Dschungel der Intrigen
Er versteckt den rumänischen Überläufer Alexej und versucht, sich im Intrigendschungel zwischen rivalisierenden Geheimdiensten ein Bild zu machen. Gänzlich naiv ist er nicht: Während des Krieges half er seiner jüdischen Frau Anna, im Auftrag des Mossad Flüchtlingstransporte von Holocaustopfern nach Palästina zu bringen. Doch Anna liegt im Wachkoma, nachdem sie eine Schiffskatastrophe nicht verhindern konnte, ihr Krankenzimmer wird zu seinem Ruhepol - und Gefängnis.
"Alles könnte wieder so werden wie es war. Besser. Der Krieg ist vorbei. All die schrecklichen Dinge. Und wusste doch, als er es aussprach, dass sie nicht vorbei waren – noch immer lebten Menschen in Lagern, Schiffe wurden noch immer zurückgeschickt, alles, wovor sie geflohen waren, passierte noch immer."
Tödliche Begegnungen
Istanbul, schon während des Krieges als neutrale Stadt ein Sammelpunkt für Flüchtlinge und Spione, ist zum Ort für tödliche Begegnungen zwischen Ost und West geworden: Der Kalte Krieg wirft seine Schatten voraus, und die Briten fangen Flüchtlingsschiffe nach Palästina ab und schicken sie zurück.
Leons Erkundung, sein Versuch, den Rumänen unter allen Umständen vor den Russen zu retten, wird immer mehr zum Tanz auf dünnem Eis, und dass Alexej ein Mörder und KZ-Wächter war, macht es ihm nicht leichter. Doch welche Rolle spielte sein Auftraggeber Tommy, und warum wird ein weiterer Amerikaner, der Gesandte aus Ankara, erschossen? Je weniger Leon die Lage durchschaut, desto geschickter, getrieben vom Mut der Verzweiflung, laviert er zwischen den Fronten.
"Die Lügen gingen ihm immer leichter von den Lippen, eine führte zur nächsten, bis man selbst daran glaubte. So muss es auch für Tommy gewesen sein, der sie ebenfalls alle angelogen hatte."
Ein Netz von Lügen
Joseph Kanon breitet das Netz von Lügen und Intrigen mit großem Geschick und langem erzählerischen Atem über der schönen Stadt am Bosporus aus. Ihre Vergangenheit als Metropole der Osmanen ist zu dieser Zeit noch spürbar und grundiert den Versuch der türkischen Regierungsvertreter und ihres Geheimdienstes, ihre Rolle zwischen den neu entstehenden Blöcken zu finden, mit den leuchtenden Farben viel älterer Geschichten aus Konstantinopel oder Byzanz. Leon, sein hoffnungslos loyaler Held, ist ihnen ebenso verfallen wie damals seine Frau Anna – als sie noch heil und gesund war und er noch nicht nach einer neuen Liebe suchte, die ihn erlösen könnte.
"Warum machst du das?" fragte er, seine Stimme jetzt weicher. "Weißt du das überhaupt noch? Für dein Land? Das Land, in dem du gar nicht mehr lebst? Warum tust du es"? fragte Leon und nickte dabei auf das Schiff. "Ein Haus brennt, jemand springt heraus. Was machst du? Weitergehen? Versucht man da nicht zu helfen?"
Istanbul nach dem Krieg
Die widersprüchlichen Strömungen des Bosporus werden zum treffenden Bild für den Verlust aller Gewissheiten, fast allen Vertrauens. Istanbul im ersten Nachkriegswinter 1945 - eine labyrinthische und nur scheinbar unterkühlte Szenerie, die an die Romane Graham Greenes oder Eric Amblers anknüpft und Bilder aus Howard Hawks "Haben und Nichthaben" mit Humphrey Bogart beschwört, die auf einen neuen Film hoffen lassen.
(Lore Kleinert)
Joseph Kanon *1946 in Pennsylvania/USA, Verlagsleier und Schriftsteller, lebt in New York
Joseph Kanon "Die Istanbul Passage"
Thriller, aus dem Amerikanischen "Istanbul Passage" von Elfriede Peschel
C.Bertelsmann 2014, 480 Seiten, 19,99 Euro
eBook 15,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Joseph Kanon
Leaving Berlin