Joseph Kanon
Leaving Berlin
Berlin im Jahre 1949, dem Jahr der Luftbrücke. Noch kann man sich zwischen den Sektoren bewegen, doch der Kalte Krieg hat seine Truppen und Helfer längst rekrutiert. Der Romanschriftsteller Alex Meier kehrt aus der Emigration in den USA zurück und wird in Ost-Berlin begeistert empfangen, wie so viele, die all ihre Hoffnungen auf einen Neuanfang im sozialistischen Deutschland setzten.
Agent des CIA
Doch Alex musste die USA wegen “unamerikanischer Aktivitäten“ verlassen und will zurück, zu seinem Sohn. Seine einzige Chance ist, als Agent des CIA die neue Ostberliner Szene zu erkunden. Helene Weigel und Brecht proben die “Mutter Courage”, man trifft sich, und Brecht hat längst durchschaut, wohin die neuen Herren das Land steuern werden – und begegnet ihnen mit Zynismus.
“Manchmal muss man sich mit den Gegebenheiten abfinden. Sieh dir die Kirche an, die richtige. All diese Verbrechen im Lauf der Jahre, und doch gibt es auch die Musik. Die Kunst. Wir sind keine Priester, wir sind Künstler. Wir passen uns an, wir überleben.”
Düstere Atmosphäre
Joseph Kanon gibt seinem Roman mit der grell flackernden und zugleich düsteren Atmosphäre im noch immer zerstörten Berlin einen Hintergrund, der seine Geschichte mit der Intensität verlorener Hoffnungen auflädt. Je mehr Alex sich einmischt, desto heftiger überschlagen sich die Ereignisse, und er ist gezwungen zu töten und zu tricksen - ein Agent wider Willen, der noch dazu seine große Liebe aus der Zeit vor Krieg und Exil in der Künstlerszene wiedertrifft – Irene, inzwischen Geliebte eines russischen Offiziers.
“Er hatte sich gefragt, ob er sie wiedererkennen würde, ob die Jahre sie verbraucht hatten. Aber jetzt rauschte das Blut durch ihn, verstopfte ihm die Ohren, und sie sahen einander an, und was er dabei spürte, war das Geheimnisvolle jenes Sommers, als es nur sie beide gab, und all diese Menschen wurden nicht mehr wahrgenommen, nicht einmal mehr gehört.”
Intellektuelle und Glücksritter
Während der Plot immer mehr an Tempo gewinnt, verliert die Geschichte doch an Glaubwürdigkeit, und die anfangs so bestrickende Zweideutigkeit der Personen - Heimkehrer wie Alex, naive Intellektuelle, Glücksritter und Parteisoldaten - sortiert sich zum Gut-gegen-Böse-Schema um, was der Spannung dieses Thrillers keinen Abbruch tut. Dass die Säuberungen in der SED tatsächlich erst ein Jahr später in diesem Ausmaß begannen, hat Kanon bewusst vorverlegt, um die Spannung zu erhöhen, ist aber ansonsten um Detailgenauigkeit bemüht. Sein gebrochener Held entwickelt überraschende Facetten und erlernt das Handwerk des 'guten' Spions mit bemerkenswertem Geschick.
Nicht in Deutschland sterben
“Und er war zurückgekommen. Eine Wette gegen die Geschichte. Jetzt lag er im Schutt. Worauf wartete er? Darauf, ein Opfer zu sein, wie die anderen? Nein. Er stemmte sich hoch. Er durfte hier nicht sterben, nicht in Deutschland. Noch ein Jude. Ein halber.”
Joseph Kanon demonstriert mit “Leaving Berlin”, dass er ein routinierter Thriller-Autor ist, unterhaltsam, spannend und sprachlich anspruchsvoll. Die schmerzhafte Intensität seines Istanbul-Romans ("Die Istanbul-Passage", 2014) erreicht sein neues Buch jedoch nicht.
(Lore Kleinert)
Joseph Kanon *1946 in Pennsylvania/USA, langjähriger Verlagsleiter und Schriftsteller lebt in New York
Joseph Kanon "Leaving Berlin"
Aus dem Englischen von Elfriede Peschel
C. Bertelsmann 2015, 480 Seiten, 19,99 Euro
eBook 15,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Joseph Kanon
Die Istanbul Passage