Richard Price
Die Unantastbaren
In Richard Price Romanen und Drehbüchern tun die Bösen Gutes und umgekehrt - schwer, hier einen moralischen Kompass auszurichten. Sergeant Billy Graves versucht als Leiter der Nachtschicht der New Yorker Polizei, dem Chaos brutaler und bizarrer Verbrechen standzuhalten.
Unantastbar
"Er war zwar erst zweiundvierzig, aber sein Knitterzellophanblick gepaart mit einer exquisiten Schlaflosenpose hatte ihm schon mal eine Seniorenermäßigung im Kino eingebracht."
In den wilden 90ern gehörte er zur verschworenen Clique der "Wildgänse", sieben junge Cops, die in einem der schlimmsten Reviere der Bronx aufräumten und die Regeln selbst machten. Ihr harter Kern, bis auf Graves inzwischen erfolgreich und sogar reich als Immobilienbesitzer, Vizedirektorin eines Bewachungsunternehmens oder Beerdigungsunternehmer, trifft sich regelmäßig, denn einige der schlimmsten Täter, die "Unantastbaren", konnten sie damals nicht überführen, und das lässt sie nicht los.
"Keiner hatte die Unantastbaren gebeten, sich in ihrem Leben häuslich niederzulassen, keiner hatte diese Schatten gebeten, so dauerhaft und willkürlich wie Malaria ihre Seelen zu belagern, keiner hatte darum gebeten, diesem düsteren Streben derart hilflos ausgeliefert zu sein, dass sie keine Wahl hatten, als ihm weiter und weiter zu folgen."
Rachefeldzug
Doch dann wird einer dieser Schatten der Vergangenheit nach dem anderen umgebracht. Richard Price macht Graves, den Familienvater, der seine Frau liebt und sich um seinen dementen Vater kümmert, zum moralischen Kompass dieses Romans, um ihn in die Irre zu führen und seine Maßstäbe allmählich und um Haaresbreite zu verschieben. Er verbeißt sich in die Frage, wer von seinen Freunde auf Rachefeldzug ist. Oder haben sie sich alle hinter seinem Rücken zusammengetan? Während er, dessen Vergangenheit auch nicht makellos ist, sich mit möglichen Querverbindungen und seinem Gewissen herumschlägt, nähert sich ein Stalker seiner Familie. Milton Ramos, alleinerziehender Vater und ebenfalls Polizist, hat offenbar eine Rechnung mit Billys Frau Carmen offen.
"Milton stellte fest, dass jeder Akt sorgsam inszenierten Chaos‘ in ihm das Verlangen nach dem nächsten schürte. Er spürte den brennenden Wunsch, den Einsatz zu erhöhen, die Schraube anzuziehen…doch er verlor allmählich das Vertrauen in seine Fähigkeit, sich zu zügeln, bevor die Geschichte zu Ende erzählt war."
Hochspannung
Beide Männer bewegen sich in enger werdenden Kreisen aufeinander zu, und Richard Price ist ein Meister des Timing, wenn es darum geht, eine Geschichte unter Hochspannung zu halten, bis sie wirklich zu Ende erzählt ist. Sein Thriller ist im rasanten Slang der Großstadt geschrieben, präzise wie eine Reportage und mit trockenem Humor unterlegt. Außer einer Vielzahl sorgfältig gestalteter Mitspieler bietet er eine Innenansicht schwierigster Polizeiarbeit und eine psychologisch fein ausgelotete Studie der Lebensbedingungen im New York des neuen Jahrtausends. Für alle, die die legendäre TV-Serie "The Wire" lieben, ist Price‘ Roman ein absolutes Muss – und für alle anderen auch.
(Lore Kleinert)
Richard Price *1949 in New York, Schriftsteller und Drehbuchautor, lebt in New York
Richard Price "Die Unantastbaren"
Roman, aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow
S. Fischer 2015, 432 Seiten, 24,99 Euro
eBook 22,99 Euro