Benjamin Cors
Strandgut
Auf manches Strandgut kann der Tourist gut verzichten, und eine abgehackte Hand gehört mit Sicherheit dazu. Die gut erhaltene linke Hand eines älteren Mannes wird am Strand von Deauville angespült, und ausgerechnet Nicholas Guerlain findet sie am Strand und legt sie im Polizeikommissariat auf den Tresen.
Merkwürdige Ahnungen
Dass die Hand abgeschlagen wurde, um einen gefangenen Mann zu zwingen, einen Namen zu nennen, haben die Leser bereits erfahren. Und sie wissen auch, dass Nicholas seine Karriere als Personenschützer ruiniert hat, als er den Minister, den er schützen sollte, vor laufender Kamera niederschlug – versehentlich, und weil er glaubt, seine Freundin Julie auf einer Tribüne zu sehen. Vor drei Jahren verschwand sie spurlos, und seither plagen ihn Schlaflosigkeit, Depressionen und merkwürdige Ahnungen, - er nimmt Tabletten und hat "sich selbst schon seit Langem aus den Augen verloren."
Geplantes Attentat
In Deauville, seiner Heimatstadt soll er sich als Berater der örtlichen Polizei bewähren, denn ein politischer Gipfel steht bevor, und der Badeort in der Normandie wird gegen mögliche Attacken bombastisch aufgerüstet. Doch die Vorbereitungen stehen unter keinem guten Stern:
"Hier stranden zu viele Dinge. Dabei möchte ich, dass in dieser Stadt derzeit überhaupt nichts angeschwemmt wird. Keine Hände, keine fehlenden Hotelgäste und schon gar keine Toten."
Die Anzeichen für ein geplantes Attentat auf eben den Minister, einen eitlen Selbstdarsteller, den Nicholas in Cannes zu Boden befördert hatte, mehren sich – Fotos mit einem Fadenkreuz auf seiner Stirn tauchen auf, und die Sicherung der Straßen erweist sich als kompliziert.
Außerdem ist der Fotograf Carasso auf einer Bootsfahrt verschwunden, aber sein Rucksack wird an Bord der "Hirondelle" gefunden. Hat er sich wirklich umgebracht? Und wo ist der Geschäftsmann Payet, der mit seiner Frau in Deauville Urlaub macht und vermisst gemeldet wird?
Farbige Szenerie
Ganz zu Beginn des Buches, fast fünfzig Jahre zuvor, geschah ein Mord, und die sehr dicht und kunstvoll aus der Sicht eines gewissenhaften Croupiers erzählte Geschichte wirft ihren Schatten auf die Ereignisse in Deauville. Zu viele Rätsel, da sind sich die Polizisten unter dem Leiter des Commissariats Bonnet und ihr neuer Kollege Nicholas einig.
Doch Autor Benjamin Cors, lange politischer Fernsehjournalist in Frankreich, verknüpft die Handlungsfäden geschickt zu einem sehr spannungsreichen Gewebe, und dass er als Deutsch-Franzose die Sommer seiner Kindheit in der Normandie verbrachte, kommt dem Roman zugute: Die Côte Fleurie, wo die Seine ins Meer mündet, mit ihren Schwesterstädten Deauville und Trouville, den idyllischen Häfen, teuren Hotels und Restaurants und den hart an der Armutsgrenze schuftenden Fischern bietet die farbige Szenerie für eine hintergründige und rasante Geschichte, die man sich mühelos als Film vorstellen kann.
Das liegt nicht zuletzt an der gelungenen Darstellung aller Personen, auch wenn sie nur kleine Rollen spielen, wie die ehrgeizige junge Polizeipraktikantin Claire oder der alte Tito, Nicolas‘ Nachbar, der in seinem Café in Paris immer die gleiche Szenerie auf seinen Zeichenblick bannt: Schlaue alte Hunde, die wissen, welchen Baum sie suchen müssen.
(Lore Kleinert)
Benjamin Cors "Strandgut"
dtv premium, 432 Seiten, 16.90 Euro
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