Frauke Buchholz
Blutrodeo
„In gewisser Weise ist Rache eine ganz normale Form der Seelenhygiene. Ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, Gerechtigkeit wiederherzustellen.“
Alte Männer
Der erfolgreiche Profiler Ted Garner teilt diese Vermutung mit seiner Kollegin, an deren Seite er in der Nähe der Rocky Mountains bei der Aufklärung zweier Morde helfen soll. Beide wittern eine Verbindung zwischen den Fällen, in denen älteren Männern die Kehle durchgeschnitten wurde, doch Samantha Stern ist ehrgeizig, mit 32 Jahren jüngster Chief Superintendent der Royal Canadian Police Albertas und von Garners Fähigkeiten nicht überzeugt:
„Nach allem, was Samantha über Garner gehört hatte, war er ein arrogantes Arschloch. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte er bleiben können, wo der Pfeffer wächst. Bisher hatte sie noch all ihre Fälle alleine lösen können, und sie war sich sicher, dass sie auch diesmal keine Hilfe brauchte.“
Doch Frauke Buchholz entwickelt mit großer Spannung, wie sehr beide aufeinander angewiesen sind. Warum müssen zwei alte Männer, die nicht mehr lange zu leben haben, auf grausame Weise sterben? Ted Garners Vater, einer der 40.000 Kanadier, die unter US-Flagge in Vietnam kämpften, obwohl es damals verboten war, gerät selbst in Gefahr.
Suche nach Ursachen
Alle Bemühungen seines Sohnes, mögliche Brücken zu den anderen Morden herzustellen, scheitern an der Sturheit und Schweigsamkeit des Veteranen, und Ted Garners Interesse an Philosophie und intellektuellen Anstrengungen stößt eher auf Verachtung.
„Panta rhei – alles fließt, hatte Heraklit gelehrt. Doch vielleicht hatte er sich geirrt, dachte Garner, und die Dinge blieben so, wie sie immer schon gewesen waren. Es schien ihm, als führten sein Vater und er ein uraltes Marionettenstück auf, bei dem die Charaktere, ihr Schicksal und das Ende von Beginn an feststanden. Am Schluss starben alle.“
Die Autorin verbindet die Suche nach den weit zurückliegenden Ursachen der Morde mit großer Spannung mit den ökologischen Problemen Kanadas, über die man hierzulande wenig weiß. Die Stadt Fort McMurray, wohin es die Ermittler verschlägt, erlebte seit Beginn der Ölsandförderung in den 70ern einen ungeheuren Boom, täglich werden dort mehr als 2 Millionen Barrel Rohöl gefördert. Ihre Einwohnerzahl verdoppelte sich, der riesige Männerüberschuss lässt Prostitution, Gewalt und Kriminalität gedeihen, und die einst fruchtbare Landschaft, wo die Cree lebten, stirbt:
„Kranke Bäume mit verdorrtem Geäst, riesige Schwefelhalden, Bohrkräne und mit Kohlenwasserstoffen, Quecksilber und Arsen verseuchte Klärteiche, in der Ferne der dichte Smog der Extraktionsanlagen und Raffinerien. Es sah aus wie die Apokalypse.“
Bitterer Bodensatz
Die Exkurse auch auf die katastrophalen Lebensbedingungen der First Nations nehmen Frauke Buchholz‘ gut komponiertem Kriminalroman nichts an Spannung und lenken auch das Interesse an der Aufklärung der Mordfälle nicht ab. Die Abneigung der beiden konkurrierenden Ermittler ist plausibel und gut begründet, und die langen Schatten des Vietnamkriegs werden durch eingestreute Erinnerungen der damals jungen Soldaten an Kriegs- und andere Verbrechen zum bitteren Bodensatz auch der Geschichte Kanadas. Nachdem Ted Garner schon in Buchholz‘ letztem Roman „Frostmond“ eine wichtige Rolle spielte, wünscht man sich ein Wiedersehen mit diesem ungewöhnlichen, Philosophie-kundigen Mann, der gern Arthur Schopenhauer zitiert:
„Jede zufällige Begegnung ist eine Verabredung, jede Demütigung eine Buße, jeder Zusammenbruch ein geheimnisvoller Sieg, jeder Tod ein Selbstmord.“
(Lore Kleinert)
Frauke Buchholz, *1960 bei Düsseldorf, LIteraturwissenschaftlerin, Autorin von Romanen und Kurzgeschichten, lebt in Aachen
Frauke Buchholz „Blutrodeo“
Kriminalroman, Pendragon Verlag 2022, 264 Seiten, 18 Euro
eBook 15,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Frauke Buchholz
"Frostmond"