Frauke Buchholz
Frostmond
„Highway of Tears“ wird ein Abschnitt des Transcanada-Highways genannt, denn seit Jahren verschwinden entlang dieser ‚Straße der Tränen‘ junge Frauen indigener Herkunft - ihre Schicksale werden nur selten aufgeklärt.
Serie von Verbrechen
Jean-Baptiste LeRoux, Sergeant der örtlichen Sureté du Québec wird mit dem englischsprachigen Ermittler Ted Garner der Landespolizei zusammengespannt, um den Mord an einer 15jährigen Cree zu untersuchen: Ist er Teil einer landesweiten Serie von Verbrechen?
„In der Ferne ein langgezogenes Heulen. Wölfe oder Kojoten. Das tote Mädchen war hier aufgewachsen, hatte die tanzenden Nordlichter gesehen und die Wölfe gehört, aber etwas in ihr war zerbrochen, war genauso zerbrochen wie das traditionelle Leben der Cree. Misshandlung? Drogen? Missbrauch?“
Beide Männer könnten kaum unterschiedlicher sein, wortkarg, effektiv und rassistisch der eine, ein „Karriere-Hengst aus Saskatchewan“ in den Augen von LeRoux, der wiederum dem Klischee des selbstverliebten Franzosen, der sich vorwiegend für Sex interessiert, in hohem Maße gerecht wird. Bevor Frauke Buchholz‘ Kriminalroman jedoch unter der Last zu vieler Klischees zusammenbricht, führt die erzwungene Gemeinsamkeit die beiden Männer in mehrere lohnende Spannungsfelder: Im Reservat der Cree, das die junge Jeanette Maskisin mit 14 Jahren verließ, um in Montreal ein besseres Leben zu finden und in das sie nun als Leiche zurückgebracht wird, erweitert sich der Blick auf die Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung Kanadas.
Schwierige Verhältnisse
Die Autorin kennt sich gut aus und beschreibt die schwierigen, widersprüchlichen Lebensverhältnisse der indigenen Familien mit Empathie. Leon, der Cousin der Toten, der sie vor der Stadt und den Drogen gewarnt hatte, setzt sich auf ihre Spur und ist entschlossen, sie zu rächen.
„Ich dachte an Jeanette und all die anderen Toten, deren Geister in den kalten Nächten zu uns kamen. Die Pockennarbigen und Verhungerten, die Getöteten und um ihr Land Betrogenen. Die Verratenen und Verzweifelten, die Alkoholkranken und Selbstmörder. Die Kinder, die man ihren Eltern weggenommen hatte, und die vor Sehnsucht in den Internaten vergingen.“
Ein weiterer Konflikt zwischen den beiden Ermittlern bahnt sich an, als Garner Sophie, die Frau LeRouxs kennenlernt und Gemeinsamkeiten entdeckt. „Meine Frau ist eine Intellektuelle“, sagte LeRoux. So, wie er das Wort aussprach, klang es fast wie eine Krankheit. Die Konstellation beider Männer um Sophie und ihre sehr unterschiedliche Wahrnehmung des Verbrechens an Jeanette Maskisin sorgt für Spannung, auf dem Hintergrund der kanadischen Geschichte, die die indigenen Völker als Verlierer zurückließ. Auch die Beteiligung an den Kriegen der USA spielt eine Rolle, denn junge Männer kehrten als traumatisierte Veteranen zurück. In Lebensgefahr sind schließlich alle. Frauke Buchholz ist mit „Frostmond“ ein beachtliches Debüt gelungen, das auf Fortsetzungen hoffen lässt.
(Lore Kleinert)
Frauke Buchholz „Frostmond“
Kriminalroman, Pendragon Verlag 2021, 288 Seiten, 18 Euro
eBook 15,99 Euro
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