Oliver Bottini
Einmal noch sterben
‚Curveball‘ war der Deckname für den irakischen Informanten des BND, dessen Informationen den Krieg der Bush-Administration am Golf rechtfertigten. Hätte der Krieg verhindert werden können, wenn die Lüge Curveballs von Saddams Massenvernichtungswaffen rechtzeitig aufgedeckt worden wäre?
Politische Winkelzüge
„Sie haben den Falschen“, sagt die Frau, „Ahmed Hassan ist nicht der, den Sie suchen. Er spielt ihn nur für Sie.“
Hanne Lay, Sonderermittlerin des Bundeskriminalamtes, erhält anonyme Anrufe, die ihre Aufgabe nicht leichter machen: Sie soll herausfinden, ob Ahmed Hassan alias Curveball die Wahrheit über die Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins sagt.
Um diese Frage herum baut Bottini einen hochspannenden Roman, der die politischen Winkelzüge deutscher Geheimdienstakteure mit der geheimen Mission einer Gruppe von Elitesoldaten verbindet, in einem Zeitraum von genau drei Wochen. Sie sollen in Bagdad die Beweise einer irakischen Dissidentin sichern, die Curveballs Behauptungen widerlegen; doch der Einsatz läuft aus dem Ruder, die mutige Frau und ihr Kontaktmann sterben. Der Scharfschütze und Polizist Frank Jaromin soll zum Sündenbock gemacht werden – und wehrt sich gegen die Manipulation.
„Männer wie sie, die gegen die Drachen kämpfen und dabei blind und taub geworden sind in ihrer vermeintlichen Unentbehrlichkeit. Blind tappen sie in schlichte Fallen, taub hören sie Wörter, die nicht gefallen sind, unfehlbar töten sie Menschen, die sie beschützen müssen. Und damit sie bleiben, wie sie zu sein glauben, manipulieren sie den Körper mit Medikamenten, den Verstand mit Alkohol, die Seele mit ihren Legenden.“
Süchtig nach Gefahr
Bottinis Elitepolizisten sind in mancher Hinsicht gebrochene Männer, von der Härte ihrer Aufgabe gezeichnet und kaum in der Lage, ein Familienleben aufrecht zu erhalten. Frank Jaromins Frau wird ihn verlassen, denn seine Welt ist draußen, wo er im Einsatz ist, für sein Land kämpft, mit Kameraden, die genauso süchtig nach lebensgefährlichen Aufgaben sind wie er. Und genauso unfähig, ein normales Leben zu führen. Nur seine Tochter ruft er jeden Tag an, den Kontakt mit dem Sohn hat er längst verloren.
„Er kann nicht einmal sich selbst erklären, warum er jedes Mal wieder los will, kaum dass er nach Hause zurückgekehrt ist. Das draußen ist seine Welt. Dorthin wollte er immer. Die Welt des Heiligen Georg. Gegen die Drachen kämpfen.“
Es gelingt dem Autor mühelos, auch die Mit- und GegenspielerInnen im Staatsapparat und in geheimen Netzwerken als Menschen mit widersprüchlichen Antrieben zu zeichnen, von Schmerz und Trauer bis zu politischem Ehrgeiz oder vermeintlicher Staatsraison. Hans Breuninger, Staatssekretär und ehemaliger BND-Präsident etwa führt ein geheimes Netzwerk, das den Krieg der USA gegen den Terror in jedem Fall unterstützen will. Alles, was ihm von seiner Familie blieb, ist ein schönes Haus und ein alter Dackel.
“Da ist man, denkt er fast belustigt, ein Leben lang bemüht, das eigene Land zu retten und damit auch ein bisschen die Welt, das große Ganze also – und scheitert am Kleinen, auf den paar eigenen Quadratmetern. Über Jahrzehnte ist man es gewohnt, Heere von wechselnden Mitarbeiter, Konkurrenten, Neidern, Gegnern zu orchestrieren, und zerbricht an einer schmächtigen, fröhlichen Frau, weil sie die einzige ist, die man nie und nimmer ersetzen wollte.“
Netzwerk der Akteure
Doch die Vergangenheit, die Verlockung, noch einmal Einfluss auf die Politik zu nehmen, sind zu verlockend, als dass er den Tatsachen glauben wollte, und über den Verlust eines Sohnes durch den Terror von 9/11 in New York kommt er nicht hinweg und ist, immer im Namen der Demokratie, bereit, Menschenleben und die Wahrheit zu opfern.
Oliver Bottinis Romane sind keine gewöhnlichen Kriminalgeschichten, sondern hochaktuelle Analysen moralischer Ambivalenzen. Die Schauplätze im Nahen Osten und in Deutschland glaubt man dank seiner präzisen Sprache und gründlicher Recherche vor Augen zu haben, und das Netzwerk der Akteure ist mit großer Spannung aufgeladen und brillant geknüpft. Dass auch Kinder darin verstrickt sind, verleiht dem Roman einen außergewöhnlichen Unterton.
Bottinis schriftstellerisches Können und sein Gespür für politisches Versagen und menschliche Unzulänglichkeit macht ihn zum legitimen Erben des großen John LeCarré. Von ihm könnte der Satz des Einsatzleiters des BND und Ausbilders von Frank Jaromir, Koeppen, stammen, der die Logik aller guten Spionagethriller kennzeichnet:
„Menschen sind gestorben, Schicksale und Karrieren zerstört, doch am Ende zählt nur eines: dass der Apparat selbst unbeschadet bleibt“.
(Lore Kleinert)
Oliver Bottini, *1975 in Nürnberg, freier Lektor und Autor von Kurzgeschichten Kriminalromanen und Sachbüchern, lebt in Berlin
Oliver Bottini „Einmal noch sterben“
Roman, Dumont Verlag 2022, 432 Seiten. 25 Euro
eBook 19,99 Euro
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