Oliver Bottini
Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens
"Nicht mehr auffallen, nichts mehr riskieren ... unter dem Radar segeln." Kommissar Ioan Cozmar aus Temesvar hat gute Gründe für diese Selbstbeschränkung, ebenso wie sein Freund und Kollege Cippo, denn beide haben als junge Polizisten der Diktatur gedient und ihre Vergangenheit ist nicht vergessen, nicht von den Opfern und nicht von ihnen selbst.
Faust ins Gesicht
Doch als eine junge deutsche Frau erstochen aufgefunden wird, werden die beiden verschworenen Einzelgänger auf den Fall angesetzt. Cozmar erweist sich trotz allem als effektiver, gründlicher Polizist, der längst gelernt hat, die "Sümpfe des Zorns" auszutrocknen, in die er wegen des Schicksals seines jüdischen Vaters geraten war:
"…Mörder zu fangen und Antworten zu finden war nun einmal seine Aufgabe, auch wenn er als junger Mann aus anderen Gründen Polizist geworden war. Damals hatte er zerstören wollen, hatte denen, die auf der anderen Seite standen, die Faust ins Gesicht schlagen, die Knochen brechen, die Seele brechen wollen. Hatte dem Zorn Ausdruck verleihen müssen, der ihn zerfleischte. Erst die Revolution hatte dem ein Ende gesetzt."
Falsche Fährte
Ein Schuldiger ist rasch ausgemacht, der junge Landarbeiter Adrian, dem Lisa, die Tochter des Landwirts Mathern von ihrer früheren Heimat Prenzlin in Mecklenburg-Vorpommern erzählte und seine Sehnsucht nach einem anderen Leben weckte. Jörg Mathern, ihr Vater, hat nach der Wende in Rumänien viel Land aufgekauft und Neu-Prenzlin aufgebaut, als die LPGs im Osten von den "roten Junkern" zu Agrarkonzernen umgerüstet wurden. Doch Kommissar Cozmar erkennt rasch, dass er auf eine falsche Fährte gelockt werden soll, und obendrein versucht man, ihn mit seiner Vergangenheit zu erpressen. Hat man das junge Mädchen erstochen, um den Vater zum Verkauf seines Landes zu zwingen? Wer sind die Drahtzieher, die bereits vierzig Prozent rumänischen Bodens an ausländische Agrarunternehmer, Deutsche, Dänen, Saudis oder Holländer verscherbelt haben?
Landraub und Betrug
Oliver Bottini durchleuchtet den politischen Hintergrund seiner Geschichte mit großer Kenntnis und klarem Blick für den Niedergang der Dörfer im Banat, die ebenso leer geworden sind wie die kleinen Orte Ostdeutschlands, wo noch immer einzelne gegen den Niedergang ankämpfen. Und er wirft Fragen auf, die einen großen Bogen über das neue Europa spannen:
"In den Landwirtschaftsministerien und Bauernverbänden im Osten sitzen viele ehemalige DDR-Agrarfunktionäre. Das ist die Lobby der ostdeutschen Großbetriebe. Warum ist so wenig passiert, als herauskam, dass die meisten LPG-Umwandlungen nicht rechtskonform waren? Dass in vielen Fällen betrogen worden ist?"
Als Kind gerettet
Landraub und Betrug ist das große Thema, detailliert recherchiert und doch immer verknüpft mit den Menschen: Marthen, dem Landwirt aus Leidenschaft, den die Sehnsucht nach eigenen Flächen fünfzehnhundert Kilometer fortgetrieben und einsam gemacht hat, denn Neu-Prenzlin konnte die Heimat nie ersetzen.
"Er wollte Früchte wachsen sehen, wollte die Böden verbessern, die Fruchtfolgen optimieren, wollte mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie…Im rumänischen Banat lebte er seinen verzweifelten Traum, ein bisschen besessen, ein bisschen kauzig."
Oder Winter, sein Jugendfreund, der ihm nach dem tödlichen Unfall seiner Frau und seiner Kinder in den Banat folgte und den er jetzt zurückschickt, nach Prenzlin, um den vermeintlichen Mörder zu finden. Dort trifft er auf Anett, Marthens Schwester und seine frühere Liebe, die noch immer gegen die DDR kämpft, 25 Jahre nach ihrem Ende, denn die alten Strukturen haben sich dem globalen Kapitalismus bestens angepasst. Nicht nur die junge Hubschrauberpilotin Ana muss tief graben, um ihre von der Securitate verschleppten Eltern zu finden und Viorel, den Mann, der sie als Kind rettete.
Suche nach Wahrheit
Bottini gibt seinen verstrickten und versehrten Menschen die Möglichkeit, tiefer zu blicken, wenn sich ihre Wege kreuzen und die alten Wunden von neuen Verbrechen aufgerissen werden, allen voran der rumänische Kommissar mit der deutschen Mutter, der zwischen den Schauplätzen nach der Wahrheit und dem Mörder sucht. Alle Figuren, und sind ihre Auftritte noch so klein, haben Tiefenschärfe und eine Geschichte, die den vielschichtigen Roman bereichert. Der Autor, vielfach preisgekrönt für seine politischen Tiefenbohrungen ebenso wie die erstklassig komponierten Geschichten, ist ein Meister der Zwischentöne und der untröstlichen Verluste, der vielen Schattierungen von grau, der leisen Annäherungen, die seine Romane mit tiefer Melancholie grundieren, ohne dass die kriminalistische Spannung Schaden nimmt.
(Lore Kleinert)
Oliver Bottini, *1965 in Nürnberg, deutscher Schriftsteller und Lektor, lebt in Berlin
Oliver Bottini "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens"
Kriminalroman, DuMont Buchverlag 2017, 512 Seiten, 22 Euro
E-Book 17,99 Euro
Weitere Buchtipps zu Oliver Bottini
"Einmal noch sterben"
"Im weissen Kreis" Ein Fall für Louise Bonì