Jan Seghers
Menschenfischer
"Ich hätte nie hierherkommen dürfen. Ich hätte zu Hause bleiben und mich den Problemen stellen müssen, die dort auf mich warten."
In seinem sechsten Fall flüchtet Kommissar Marthaler nach Marseillan in Südfrankreich, denn eine Trennung von seiner Freundin Tereza liegt an, und den Anruf eines alten Kollegen kommt ihm gerade recht.
Jeder ist anders
Rudi Ferres leitete die Soko Tunnel, die 1998 auf den brutalen Mord an einem dreizehnjährigen Jungen angesetzt wurde – und scheiterte. Nach seiner Pensionierung vergrub er sich in Marseillan, säuft sich langsam zu Tode und ruft Marthaler zu Hilfe, denn der alte Fall lässt ihm keine Ruhe. Und Marthaler besucht ihn und wühlt sich durch die Akten:
"Es ist wie immer, dachte Marthaler, ich darf Tobias Brüning nicht als irgendein Opfer sehen, ich muss mich auf ihn als einzelnen Menschen einlassen. Jeder ist anders, jeder ist besonders. Wenn ich verstehen will, warum er gestorben ist, muss ich verstehen, wie er gelebt hat."
Wie ein Sprungbrett
Der Autor Jan Seghers, hinter dessen Pseudonym sich der Frankfurter Schriftsteller Matthias Altenburg verbirgt, legt seinem neuen Krimi wieder einen alten Fall zugrunde.1998 wurde eine der größten Polizeiaktionen der deutschen Nachkriegsgeschichte ausgelöst: Der Junge Tristan wurde damals getötet und bestialisch verstümmelt unter einer Brücke aufgefunden, und bis heute blieb dieser Mord ungelöst:
"Ich merke immer, dass meine Fantasie besser in Gang kommt, wenn sie stabilen Boden unter den Füßen hat. Wenn ich irgendeinen Fall aus der Realität habe, den ich zugrunde legen kann. Das ist für mich immer wie ein Sprungbrett."
Noch in Südfrankreich weckt ein hinterhältiger Angriff auf den Frankfurter Kommissar dessen Interesse, den alten Fall wieder aufzugreifen. Hinweise auf die Stricher- und Drogenszene verdichten sich, und schließlich werden zwei Roma-Jungen auf die gleiche Weise ermordet, in einem alten Bergwerksstollen in einem Rheintal unweit der Loreley.
Originelle Verbindung
Marthaler, ein zunächst eher abweisender Einzelgänger, ermittelt gemeinsam mit Kizzy Winterstein, der einzigen Polizeibeamtin, die selbst aus einer Romafamilie stammt und den Fall ebenso wie sein Leben aufmischt. Und ihre Arbeit ebenso persönlich nimmt wie er selbst. Ein spannende neue Konstellation, und eine originelle Verbindung eines alten Verbrechens mit dem Anschlag auf ein Frankfurter Restaurant im Bankenviertel. Menschenhandel und Kindesmissbrauch zwischen Rhein, Main und Mittelmeer sind die großen Themen, derer sich Jan Seghers in gewohnt souveräner Weise annimmt. Ein lesenswertes sechstes Abenteuer eines melancholischen Menschenfreundes.
(Lore Kleinert)
Jan Seghers alias Matthias Altenburg, *1958, Schriftsteller, Kritiker und Essayist, lebt in Frankfurt/Main
Jan Segher "Menschenfischer"
Kommissar Marthaler ermittelt Roman, Rowohlt Kindler Verlag 2017, 432 Seiten 19,95 Euro
eBook 16,99 Euro, Hörbuch ab 13,14 Euro