Jan Weiler
Kühn hat Ärger
"Amir und Julia verliebten sich so krachend, so scheiße krass, wie Amir fand, dass er sein bisheriges Leben innerhalb weniger Tage hinter sich ließ."
Romeo und Julia
Doch das neue Leben währt nicht lange: Der Sohn libanesischer Einwanderer aus dem Problemviertel Neuperlach wird brutal erschlagen aufgefunden, und Kommissar Martin Kühn muss herausfinden, was den als Schulschwänzer und Kleinkriminellen bekannten Amir Bilal im Münchner Nobelstadtteil Grünwald zu Tode kommen ließ. Fast zu schön erscheint ihm die Romeo-und-Julia-Geschichte – eine Familie, die sich für benachteiligte Jugendliche engagiert, den neuen Freund der Tochter herzlich aufnimmt, ihm die Chance bietet, sein Leben neu zu sortieren und Fuß zu fassen.
"Amir war glücklich. Julia war aus dem Weltall gekommen wie ein Engel und hatte ihn gerettet. Und später, wenn er fertig studiert hatte, würden sie gemeinsam zu einem neuen Planeten starten."
Skeptischer Held
Doch Jan Weiler baut die Zweifel an der glatten Oberfläche, an den Träumen des jungen Libanesen von Anfang an in seinen Roman ein, und mit seinem Kommissar Kühn hat er, wie schon im ersten Kriminalroman vor drei Jahren, einen skeptischen Helden, der viel zu sehr im oft anstrengenden und hässlichen Alltag normaler Menschen verankert ist, als dass er sich blenden ließe. Kühn ist ein Mann, der sich auf unterschiedlichste Szenerien einlassen kann und dennoch nicht die Distanz verliert – nur mit sich selbst hat er nach überstandenem Burnout Probleme, denn Stress und Konkurrenz im unterbesetzten Kommissariat und Druck im familiären Alltag werden ja nicht weniger. Er vermutet, dass seine Frau ihm untreu ist, kümmert sich zu wenig um seine Gesundheit, grübelt zu viel, doch genau das macht ihn zu einem ungewöhnlichen und originellen Ermittler, dem zu folgen ein Vergnügen für die Leser ist.
"Kühn dachte oft, dass man viele Verbrechen verhindern könnte, wenn die Opfer schon vor der Tat identifiziert würden. Wenn man sich schon vorher mit ihnen beschäftigen würde, und nicht erst hinterher. Er war überzeugt davon, dass es nicht nur bestimmte Dispositionen gab, die Täter zu Tätern machten, sondern dass auch Opfer in gewisser Weise zum Opfersein bestimmt waren. Er betrachtete sich im Spiegel und sann darüber nach, ob er in seinem Leben eher Opfer oder Täter war."
Mehr als Satire
Weilers große Stärke liegt in der guten Kenntnis und genauen, bis ins Satirische reichenden Beschreibung der unterschiedlichen Szenen, auf denen sich die Akteure tummeln und meist genau darauf achten, dass sie einander nicht allzu nah kommen. Manchmal bedient er allzu sehr gängige Klischees, doch das mindert den Lesegenuss keineswegs. Der Verein "Münchner Sternenhimmel", in dem reiche Damen der Gesellschaft Gutes für schwierige Jugendliche tun wollen, dient eben vor allem dazu, Kontakte zu Prominenten zu pflegen und sich ein gutes Gewissen zu verschaffen, und wie Weiler über die Begeisterung für Bonsaiparkett (das es nicht gibt) und das Umgehen der Erbschaftssteuer (das gängig ist) herfällt, ist viel mehr als Satire. Die Zustände in Amirs armseligen Viertel oder im Neubaugebiet Weberhöhe auf giftstoffverseuchtem Grund, wo sein Kommissar Kühn ein Haus für seine Familie gebaut hat und eine rechte Bürgerwehr ihr Unwesen treibt, werden ebenso pointiert ausgeleuchtet. Nicht mit kaltem Blick, sondern voller Sympathie mit denen, die es schwer haben und daran wenig ändern können:
"Sie gehörten nicht richtig zur Stadt, in der sie wohnten. Und sie hatten auf giftigem Grund gebaut. Ihre Existenz, ihre Häuser, ihre Träume: würden am Ende ihres Lebens nichts wert sein. In diesem Wissen fiel es manchen Bewohnern der Weberhöhe schwer, den Alltag zu bewältigen. Einige Hausbesitzer hatten bereits verkauft, unter Wert natürlich. Andere blieben und kämpften. Und wieder andere gruben rings um ihr Haus die Kellermauern aus und versuchten zu isolieren, was längst zerstört war."
Gute Mischung
Die Mischung aus feinfühlig und klug beschriebenen Milieus der Großstadt, einer Liebesgeschichte, die in blutiger Gewalt endet, und dem Gedankenstrom eines Ermittlers in der Lebenskrise, der sich mit feinem Instinkt dem Mörderischen nähert, obwohl er mit seinen eigenen Dämonen genug zu tun hat - das ergibt einen guten Kriminalroman, der zugleich ein fein gezeichnetes Gesellschaftsportrait ist. Mein Wunsch: weitere Begegnungen mit Martin Kühn!
(Lore Kleinert)
Jan Weiler, *1967 in Düsseldorf, ist Journalist und Autor von Romanen, Hörspielen und Hörbüchern, sein erster Erfolgsroman war "Maria, ihm schmeckt's nicht", er lebt in der Nähe von München
Jan Weiler "Kühn hat Ärger"
Roman, Piper 2018, 400 Seiten, 20 Euro
eBook 17,99 Euro