Susanne Saygin
Crash
„Seit Can und sie auf Farneigh waren, kam sich Isa vor wie ein Insekt in einem geschliffenen Bernsteinklumpen. Von außen betrachtet, schien alles glatt und golden, innen herrscht luftleerer Stillstand. Aber Stillstand war Tod, und Isa war schon einmal fast tot gewesen.“
Sicheres Exil
Auf der kleinen Insel der Äußeren Hebriden sind der ehemalige Kriminalbeamte Can und die Journalistin Isa untergetaucht, denn der Bauunternehmer Nolden hatte eine Rechnung mit ihnen offen, weil sie seine mörderischen Umtriebe verbissen verfolgten. Vergebens, wie wir am Ende von Saygins Krimierstling „Feinde“ erfuhren, doch jetzt ist Nolden tot und Isa entschlossen, den Kampf wieder aufzunehmen. Ihre frühere Assistentin Mira, die ebenfalls auf Noldens Todesliste stand, ist nach Berlin zurückgekehrt und seit drei Monaten verschwunden. Isa verlässt Can und ihr sicheres Exil und taucht in Berlin in eine atemberaubende Suche ein, die sie immer näher an die dunkelsten Seiten bundesdeutscher Finanzschiebereien führt. Noldens Imperium soll im Sinne seiner Witwe von einer großen Wirtschaftskanzlei neu aufgestellt werden, und Anwalt Torsten Wolf, der sich immer mal wieder nach den Surfabenteuern seiner Jugend sehnt, wittert seine Chance als designierter Beiratsvorsitzender des Nolden-Bauunternehmens: Endlich alle Schulden loswerden, seine kaputte Ehe hinter sich lassen, für seine Kinder da sein, endlich ein wichtiger Player im ganz großen Haifischteich werden.
Tiefe Angst
Doch all das passt nicht zusammen. Meisterhaft und mit langem Atem beschreibt Susanne Saygin, wie sich die Gewissensreste dieses Mannes immer dann bemerkbar machen, wenn er auf kriminelle Machenschaften stößt und doch immer wieder versucht, dem sozialen Abstieg um jeden Preis zu entgehen – ein Ritt auf gewaltigen Wellen, die jederzeit unter ihm zusammenbrechen können.
„Wie hatte er sich so aus den Augen verlieren können? Wolf war in der Mitte seines Lebens vom rechten Weg abgekommen, aber jetzt war er wieder in der Spur.“
Während Wolf, der notorische Sekretärinnen-Schinder, die Spur immer wieder verliert und zwischen Grandiosität und tiefer Angst schwankt, bewegen sich Isas und sein Weg unaufhaltsam aufeinander zu, bis beide mit der Unternehmerwitwe und Kunstförderin Saskia Nolden im Dienstwagen Wolfs, auf dem Weg zum Flughafen landen und das böse Ende droht. Doch bis dahin entfaltet die Autorin ein wildes Panorama skrupelloser Bereicherung und politischer Verschwörung, das, bei aller satirischen Zuspitzung, ebenso plausibel ist wie die skandalösen Ausbeutungsexzesse im Baugewerbe in ihrem Vorgängerroman.
Unbequeme Fragen
„Crash“ ist, wie Susanne Saygin in ihrem klugen Nachwort schreibt, ein historischer Roman, der dem Aufkommen populistischer Bewegungen und dem schleichenden Zerfall des Fundaments unseres Gemeinwesens Rechnung trägt und unbequeme Fragen stellt:
„Welche Zustimmungswerte würde also eine rechtspopulistische Bewegung erringen, die in ihrer Anmutung auch für die Generation der gut verdienenden, akademisch gebildeten Dreißig- bis Fünfzigjährigen anschlussfähig wäre?“
(Lore Kleinert)
Susanne Saygin, *1967, aufgewachsen im Rheinland, Historikerin und Autorin, lebt in Berlin
Susanne Saygin „Crash“
Roman, Heyne Verlag München 2021, 416 Seiten, 12,99 Euro
eBook 9,99 Euro