Ian Rankin
Das Gesetz des Sterbens
"Sagen Sie mal, sollten Sie nicht längst im Ruhestand sein? - Bin ich. Police Scotland hat mir aber Arbeit angeboten … Archäologischer Natur, vermute ich. - Deshalb bin ich hier, um mich mit einem Fossil zu unterhalten."
Missbrauchte Kinder
Wer sich musikalisch auf Ian Rankins neuen Krimi einstimmen möchte, sollte "Even Dogs in the Wild", so auch der englische Titel des Buches, anhören, einen schottischen Song aus 1980, der von der Einsamkeit und dem Elend missbrauchter Kinder erzählt – sogar wilde Hunde sorgen besser für ihre Jungen. Dass dieses Thema eine Rolle spielen wird, ahnt man angesichts der Zettel, die Vergeltung ankündigen: Ein Lottogewinner und ein Richter in Edinburgh sind bereits tot. Polizeiurgestein John Rebus wird aus seinem Ruhestand erlöst, als sein Gegner aus vielen Jahren "Big Ger" Cafferty knapp einem Anschlag entgeht und nur mit ihm reden will; auch er hat einem Zettel mit der gleichen Drohung erhalten und hält rivalisierende Gangster für die Schuldigen.
Ehemaliger Ermittler
"Cafferty wusste, dass er nur bis zu einem gewissen Grad auf ihn als Verbündeten setzen durfte. Rebus handelte immer noch instinktiv als Polizist. Wenn er auch nur eine halbwegs anständige Chance auf eine Verurteilung witterte, würde er Cafferty sofort ans Messer liefern. Auf der anderen Seite war es in niemandes Interesse, wenn auf der Straße Krieg ausbrach."
Und dieser Krieg rückt immer näher: Der Sohn eines Drogenbosses aus Glasgow wird erschossen aufgefunden, ebenfalls mit einer Drohung garniert, und ein Trupp grobschlächtiger Glasgower Polizisten ist angerückt, um die aus ihrer Stadt angereisten Gangster zu observieren. DI Malcolm Fox soll sie unterstützen, stellt in seiner akribischen Weise jedoch Ungereimtheiten fest, und dass er früher interner Ermittler war, macht ihm die Arbeit nicht leichter.
Unerwartete Risiken
Doch an Rebus‘ Seite verändert sich dieser ernsthafte, kühle Mann, den die Leser schon aus früheren Bänden kennen, und geht unerwartete Risiken ein. Ein geschickt aufgebauter und komplexer Plot verknüpft die unterschiedlichen Ermittlungen, an deren Spitze Rebus‘ frühere Kollegin Shiobhan Clarke steht, und wie immer ist es Rebus, der alte Fuchs, der die Verhältnisse in gewohnt hartnäckiger und unorthodoxer Weise aufmischt.
"Wenn Rebus eins war, dann Realist. Im Laufe der Jahre hatte er Schuldige davonkommen sehen und erlebt, dass (relativ) Unschuldige bestraft wurden. Er hatte zusehen müssen …, wie die Reichen und Mächtigen das System zu ihren Gunsten nutzten. Er hatte gelernt, dass diejenigen mit Einfluss gerissener und rücksichtloser vorgehen als andere ohne."
Bittere Einsichten
Mit seinem 20. Krimi um seinen Helden John Rebus ist dem schottischen Schriftsteller Ian Rankin wieder ein großer Wurf gelungen. Schnelle, witzige Dialoge, eine Geschichte aus den nicht ganz so fernen Zeiten vertuschter Männerkumpanei schlimmster Art und drei Polizisten, die entschlossen sind, die dunklen Seiten ihrer Stadt Edinburgh in Schach zu halten – Rankin gewährt seinem Personal auf sehr unterhaltsame Weise die Chance, sich dabei zu entwickeln, Rückschläge zu ertragen, bittere Einsichten zu verdauen. Das gilt auch für Rebus langjährigen Widersacher, "Big Ger“ Cafferty, der mit dem gleichaltrigen Ex-Polizisten durch viele Kämpfe eigentümlich verbunden ist:
"Wie war es in dieser anderen Welt, die die meisten Menschen bewohnten? Warum waren sie glücklich? Er konnte sich nicht erinnern, jemals sorglos gelebt zu haben … Er hatte sich den Weg an die Spitze erarbeitet, alle anderen dabei wenn nötig aus der Bahn geworfen, niedergetrampelt, erpresst, zerkratzt und getreten; er hatte sich viele Feinde gemacht, aber auch immer darauf geachtet, dass diese nicht stark genug wurden, um ihn zu Fall zu bringen. War das eine Art Königreich?"
Väter und Söhne
Ein Reich, das so verloren ist wie die Jugend, und dieser melancholische Unterton, verbunden mit großer Kenntnis der Geschichte seiner Stadt verleiht Ian Rankins Roman Tiefe. Wie er die kriminellen Machenschaften mit dem Thema der Beziehungen von Vätern und Söhnen verbindet, ist kunstvoll und sorgt für zusätzliche Spannung; seine Ganoven hatten Väter, die sie prägten, und DI Malcolm Fox, dessen eigener Vater stirbt, hat in Rebus einen Widerpart und Partner zugleich gefunden. Ob sich der Einzelgänger Rebus jedoch sogar zum Hundebesitzer mausert, wird hier nicht verraten.
(Lore Kleinert)
Ian Rankin *1960, viefach preisgekrönter englischer Krimiautor, lebt in Edinburgh
Ian Rankin "Das Gesetz des Sterbens"
"Even Dogs in the Wild" übersetzt von Conny Lösch
Kriminalroman, Manhattan 2016, 480 Seiten, 19,99 Euro
eBook 15,99 Euro