Liz Nugent
Auf der Lauer liegen
„Mein Mann hatte eigentlich nicht vor, Annie Doyle umzubringen, aber diese verlogene Schlampe hat es nicht anders verdient.“
Hartnäckige Spurensuche
Die irische Autorin Liz Nugent hat nicht nur ein Talent für eingängige erste Sätze. Ihre Figuren sind unglaublich unsympathisch, doch wie sie agieren und was sie antreibt, verfolgt man mit größtem Interesse. Lydia Fitzsimons, die Annie Doyle mit ihrem Mann 1980 gemeinsam umbrachte und im Garten ihres prächtigen Wohnsitzes Avalon vergrub, setzt alles daran, ihren Sohn Laurence an sich zu binden, vor allem nach dem Ableben seines Vaters. Unbeliebt und verfettet zwar, kämpft Laurence doch um ein gewisses Maß an Unabhängigkeit, und da er nicht dumm ist, vermutet er bald, dass seine Eltern schuldig geworden sind. Auch Annie Doyle war keine Heilige, drogensüchtig schon mit 16, nachdem sie gezwungen wurde, ihr Baby Marnie im Ledigenheim zur Welt zu bringen und abzugeben. Doch ihrer schönen Schwester Karen lassen ihr Verschwinden und der Kummer ihrer Familie keine Ruhe, und sie setzt sich hartnäckig auf ihre Spuren, die zur Familie Fitzsimons führen.
Abgründe
Nugents Roman wechselt die Erzählperspektive zwischen diesen drei Protagonisten Lydia, Laurence und Karen, und nachdem Laurence 1980 die Tote im Garten entdeckt und darüber schweigt, verstricken sich die gegenläufigen Interessen fünf Jahre später zu einem unglaublichen Netz von Lügen und Geheimnissen. Andere werden mit hineingezogen, Karens Mann Dessie etwa, der mit der Modelkarriere seiner Frau nur mühsam klarkommt, und Bridget, Laurence‘ schielende Freundin, die wiederum auch mit Karen befreundet ist.
„Ich hatte also tatsächlich niemanden, mit dem ich hätte reden können. Aber jetzt saßen hier im Pub diese beiden Altersgenossen von mir, nette und anständige Menschen. Laurence schien aus besserem Haus zu stammen als Bridget, aber das war ihm offensichtlich egal. Sie war ein ganz normales Mädchen, so wie ich, eine Büroangestellte, die hoffte, aus ihrem Hobby vielleicht etwas machen zu können. Ich hatte das Gefühl, ich könnte ihnen vertrauen, also erzählte ich ihnen alles.“
Die freundliche Naivität der drei jungen Menschen, die in ihren Jobs auf ein wenig Anerkennung hoffen, liegt wie eine dünne Glasur über den Abgründen, die sich unter ihnen auftun werden, und allmählich werden die Risse in dieser Schutzschicht spürbar.
Tiefe Ängste
Man tut gut daran, nicht zu spoilern, denn gerade die subkutanen Bewegungen, ausgelöst von tiefliegenden Verdrängungen und Ängsten, machen das Zusammenspiel der Akteure so aufregend. Jede bewusste Aktion löst etwas Unvermutetes aus, und bis die Mutter Lydia als Spinne im fragilen Netz erkennbar wird, ist es für die Anderen längst zu spät, die Richtung zu ändern und andere Wege zu wählen. Mit unabsehbaren Konsequenzen.
In Liz Nugents Panorama der Verstrickungen geht es nicht um das Verbrechen und seine Aufklärung: sie erkundet ausgehend von der Tat selbst, was die Wirkung auf viele Menschen ist, leise und langsam und extrem toxisch für alle, Täter, Opfer, Freunde, Familie. Bemerkenswert unangestrengt gelingt ihr eine besondere, aufregende Studie der irischen Gesellschaft in den Achtziger Jahren, mit ihren Klassenschranken, Verlogenheiten und Vorurteilen. Ein guter Boden für komplette Soziopathen. Und Soziopathinnen.
(Lore Kleinert)
Liz Nugent, *1967 in Dublin, sehr erfolgreiche und mehrfach ausgezeichnete irische Autorin
Liz Nugent „Auf der Lauer liegen“
aus dem Englischen übersetzt von Kathrin Razum
Roman, Steidl Verlag 2022, 368 Seiten, 28 Euro