William Shaw
Der gute Mörder
"Etwas Dunkles war aufgewirbelt worden", und es droht, den gewissenhaften Polizisten William South einzuholen. Sein Nachbar und einziger Freund wird ermordet aufgefunden, ein ehemaliger Lehrer, der ebenso gern Vögel beobachtete wie er selbst.
Väterliche Gewalt
Als South als Ortskundiger in die Mordermittlung einbezogen wird, brechen sich Erinnerungen Bahn: Als Dreizehnjähriger war er in Nordirland in den Zeiten der politischen Unruhen seinem gewalttätigen Vater ausgeliefert und tat alles, um seine Mutter zu schützen:
"Seine Mutter hatte ihm gezeigt, wie sich die Spuren väterlicher Gewalt verbergen ließen. Er hörte, wie sein Vater nach wie vor unten herumtobte. Er wurde immer betrunkener und holte sich noch ein Bier aus der Küche. Und selbst wenn er Stampy nicht umbrachte, würden alle erfahren, dass er, Billy, gepetzt hatte."
Immer neue Rätsel
Die Geschichte dieses Jungen verknüpft William Shaw feinfühlig und mit genauem Timing mit der Suche nach dem Mörder des Nachbarn. Was damals geschah, prägte South‘ Leben und wirft einen Schatten auf seine Zukunft, vor allem, als ein Spieler aus seiner nordirischen Vergangenheit auftaucht. Und auch der ermordete Nachbar und Freund wirft immer mehr Rätsel auf, je tiefer die Ermittlung gräbt. South, der so viel Leidenschaft fürs Birding, das Vögelbeobachten hat, ist ein Mann, der seine Schuld vor vielen Jahren tief in sich vergraben hat, am liebsten allein ist und an der Schwelle zur Resignation.
"In die Jahre gekommene Verbrecher deprimierten ihn. Sie waren alle gleich, verbraucht und müde, aber immer noch genauso ausweichend und stur wie bei ihrer ersten Festnahme. Das gab ihm das Gefühl, dass seine Arbeit so gut wie sinnlos war."
Tiefe Melancholie
Detective Sergeant Alexandra Cupidi, alleinerziehende Mutter und neue Dienststellenleiterin in Kent, reißt ihn aus seiner selbstgenügsamen Haltung, und vor allem ihre halbwüchsige Tochter Zoe fasst Vertrauen zu dem verschlossenen Polizisten, der sich widerwillig in ihr unordentliches Leben ziehen lässt. Die idyllische Küste Kents wird überschattet von einem riesigen Atomkraftwerk, und William Shaw entwickelt mit großer Spannung, welche Risse sich unter der vermeintlich heilen Oberfläche dieser dünn besiedelten Region auftun.
Sein leiser Thriller hat alles, was einen guten Kriminalroman auszeichnet: vielschichtige Personen, die für Überraschungen gut sind, unerwartete Verbindungen von Vergangenheit und gegenwärtiger Handlung, in einer ungewöhnlichen Gegend, die auch den Zugang zu einem Hobby wie dem "Birding" unterhaltsam gestaltet. Die Parallelführung des aktuellen Falles mit einem Mord in der Jugendzeit des Ermittlers schließlich lässt die Leser zu Mitwissern eines Geheimnisses werden, das die Spannung mit den Farben tiefer Melancholie grundiert, das Interesse an der Auflösung jedoch nicht trübt.
(Lore Kleinert)
William Shaw, *1959 in der Grafschaft Devon, England, Journalist und Autor
William Shaw "Der gute Mörder"
"The Birdwatcher" übersetzt aus dem Englischen von Christiane Burkhardt
Thriller, Suhrkamp Verlag 2017, 14,95 Euro
eBook 12,99 Euro