Leonardo Padura
Anständige Leute
„Eine grandiose Havanna-Epiphanie. Alle ließen sich bereitwillig von der wohltuenden Atmosphäre anstecken und genossen die Auszeit, die man ihnen zugestanden hatte, in vollen Zügen. Und manche wagten sogar, von mehr zu träumen…“
Finstere Zeiten
Als Barack Obama 2016 Kuba besuchte und die Rolling Stones mit ihrem Havanna- Konzert 500.000 Menschen begeisterten, keimte bei der Bevölkerung Hoffnung auf ein besseres Leben auf, - für Leonardo Paduras Privatermittler Mario Conde eher eine schöne Illusion. Er verbessert lieber sein eigenes Leben, indem er Bücher liest, Geschichten recherchiert, seine Freundin liebt und im Lokal seines Freundes Yoji aufpasst, dass die Drogenhändler nicht übermächtig werden.
„Als du Bulle warst, wie viele Touristen gab es damals in Kuba? Ich sags dir: fünf. Einen Bulgaren, einen Tschechen und drei Sowjetbürger. Aber jetzt ist hier richtig Geld unterwegs, und wo Geld ist, ist auch Stoff. Außerdem gibt es in Havanna inzwischen mehr Nutten als Ampeln, wenn du mich fragst.“
Ein früherer Kollege zieht den ehemaligen Kommissar zu einer Ermittlung heran: Ein bösartiger Zensor, ein „Bluthund“, der in Kubas finstersten Zeiten der kommunistischen Diktatur jede künstlerische Freiheit verfolgte und Menschen ausraubte und vernichtete, wurde ermordet und hinterlässt Kunstwerke, die er seinen Opfern geraubt hat. Gründe für Rache an ihm gibt es zahlreiche, und das wirft ein grelles Licht auf die finsteren Siebziger Jahre des kubanischen Kommunismus.
Falscher Glanz
Padura verknüpft diesen Erzählstrang der Mordermittlung elegant mit der Ich-Erzählung des jungen Polizisten Arturo Saborit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der in den Bann des charismatischen Zuhälterkönigs Yarini gerät. Dessen Ermordung war ein historisches Ereignis, das Padura selbst als junger Journalist recherchierte. Mario Conde als Geschichts- und Bücher-Besessener wird hier zu Erzähler der Geschichte dieses Teniente Saborit, eines Mannes, der wie er anständig bleiben wollte, sich jedoch lange vom falschen Glanz eines Populisten und Demagogen faszinieren und blenden ließ.
„Das glitzernde und kein bisschen bescheidene Havanna, das so gerne das Nizza Amerikas sein wollte, wusste zweifellos, wie man sich vergnügt, und Yarini, mit dem Schwung und der beneidenswerten Energie seiner Jugend, verstand sich darauf, dieses Vergnügen bis zum letzten Tropfen auszukosten. Diese Stadt war sein Königreich.“
Leonardo Padura bereitet seinem Helden Conde ein weiteres Mal die Bühne seines Landes, dessen Menschen immer wieder Hoffnung auf ein besseres Leben schöpfen und immer wieder erkennen müssen, dass es allenfalls Raum für sehr bescheidene Fortschritte gibt. Wir kennen Conde als einen Mann, der sein Land liebt, ohne sich Illusionen zu machen – die vermeintlich Anständigen entpuppen sich allzu oft als Mörder und Lügner, damals und heute. Und Condes Freunde und Geliebte suchen wie so viele Kubaner oft auch ihr Heil im Verlassen des heruntergewirtschafteten Landes.
„Würden sie, jeder für sich allein, die einen immer noch hier, die anderen weit weg, traurig zugrunde gehen – die hier vor Erschöpfung, die in der Ferne vor Heimweh und Entwurzelung? Womöglich war das die Erfahrung seiner ganzen Generation: ein allmähliches Verschwinden ohne Glanz und mit nur sehr wenig Gloria. Scheiße.“
Bewegtes Jahrhundert
Paduras Roman besticht durch Präzision und literarische Vielschichtigkeit und ist ein großartiges Gesellschaftsbild Kubas, mit vielen Todesfällen, mit Akten der Vergeltung und dem Wunsch nach Gerechtigkeit, mit farbenfrohen Echos eines bewegten Jahrhunderts, aufgefangen und durchlebt von einem begnadeten Ermittler mit schriftstellerischen Qualitäten und Gespür für die Geschichte seiner Insel:
„Unendlich viele Geschichten werden hierzulande immer wieder neu geschrieben, oder man lässt die Dinge unter planvoll angelegten Schichten des Vergessens einfach verrotten. Viele, viele Leute versuchen sich daran. Aber sie scheitern, denn die verfluchte Vergangenheit taucht am Ende jedes Mal wieder auf.“
(Lore Kleinert)
Leonardo Padura, *1955 in Havanna/Kuba, zählt zu den meistgelesenen kubanischen Schriftstellern, ist Autor von (Kriminal-)Romanen, Erzählungen und Reportagen, lebt in Havanna
Leonardo Padura „Anständige Leute“
aus dem Spanischen von Peter Kultzen
Kriminalroman, Unionsverlag 2024, 398 Seiten, 26,00 Euro