Ron Corbett
Mission Road
„Yakabuski hatte immer ein Faible für Zahlen gehabt. Manchmal betrachtete er Mordermittlungen wie ein geometrisches Muster, das es zusammenzufügen galt. Suchte nach der fehlenden Variablen. Die sich irgendwo auf dem Pfad da befand.“
Wie im Goldrausch
Der Pfad an der Mission Road ist Teil einer alten Siedlerstraße, die für Wanderer und Mountainbiker umgebaut wurde, und hier vermutet Senior Detective Frank Yakabuski das Versteck der geraubten Rohdiamanten im Wert von ca 1,2 Milliarden Dollar. Gangster und Motorradrocker sind hinter der Beute her, und als ein findiger Student eine Schatzkarte postet, beginnt eine kollektive Jagd, die dem Goldrausch vergangener Zeiten in Nichts nachsteht. Und den Studenten das Leben kostet.
„Die Leute in Springfield sprachen davon, dass ein Fieber die Stadt überkommen hätte, irrer Wahn und nackte Gier. Etwas Unnatürliches. Sie vermieden es, der Gewalt, mit der sie lebten, ins Auge zu sehen.“
Der Detective mit den polnischen Wurzeln sieht der Gewalt ins Auge. Nicht nur nutzt er die Möglichkeiten detektivischer Ermittlung wie die akribische Suche nach möglichen Fluchtfahrzeugen mithilfe von Verkehrskameras, sondern er kennt auch die Gangster gut.
Biografie eines Killers
Die Shiners, ehemals irische Tagelöhner, hatten entlang der Mission Road jahrzehntelang Schnapsbrennereien und Spelunken betrieben. Die North Shore Travellers trieben dort schon seit mehr als 200 Jahren ihr Unwesen, „Gypsies, die anderen Gypsies Angst machten“ und in der fiktiven Grenzstadt des kanadischen Nordens zur gefährlichsten Gangstergruppe wurden. Bobby Bangs, einem skrupellosen Killer werden Lieder und Balladen gewidmet, und auch seine Biografie entwickelt Ron Corbett mit Sorgfalt und schriftstellerischem Geschick.
Und schließlich dessen legendärer Gegenspieler Cambino von der texanisch-mexikanischen Grenze, gegen den eine der größten Verbrecherjagden lief, die es in Illinois und Michigan je gab: „Obwohl zahllose Cops nach ihm suchten, überquerte er die Landesgrenzen so spielend leicht, als hätte er eine Busfahrkarte gekauft“ – er versteht es, unsichtbar zu bleiben und wird schließlich Yakabuskis Familie gefährlich nah kommen. Erstaunlich auch, wie wenig Kanada in Sachen Kriminalität von den USA trennt, und wie leicht es offenbar ist, sich zwischen den so unterschiedlichen Gebieten zu bewegen – es sei denn, die Natur lässt es nicht zu.
Wie im Märchen
Yakabuskis Schwager Tyler Lawson, der Mann seiner Schwester, ist der Anwalt des Mannes, der weiß, wo die Diamanten versteckt sind, Sean Morrissey, Sohn einer alten Shiner-Familie. Lawson stammt aus Georgia/USA:
„Ich habe nie hierhergehört. An manchen Tagen kommt mir die Northern Divide wie ein Märchen vor, ein verzauberter Garten, in dem die schönsten Blumen giftig und die ruhigsten Gewässer voller Untiefen sind.“
Als Anwalt von Gangstern sind die Chancen, sich in diesen Untiefen zu verirren, sehr groß, und das Leben verzeiht keine Fehler.
Corbett versteht alles von elegantem Spannungsaufbau und davon, dass Gewalt und Verrat bis in die Anfänge der kanadischen Geschichte zurückreichen – diesen Spuren geht er nach und hat mit seinem sarkastischen Polizisten ein Zentrum des Romans geschaffen, das die zahlreichen Aktionen in glaubwürdiger Balance hält. Weil er Menschenkenntnis besitzt, etwa wenn er einen Beteiligten verhört:
„Daran gewöhnt, Dinge zu begehren, die er niemals bekommen würde, sich deswegen immer ein wenig zurückgesetzt zu fühlen, irgendwie betrogen, und dann zu träumen und sich Tricks auszudenken, wie das zu ändern wäre, aber ohne große Anstrengung – so ging es vielen Menschen heutzutage.“
Von der Gier und der Unfähigkeit, ihr allzu viel Raum zu geben, handelt dieser großartige Roman über einen Landstrich, der von Beginn an von Gier geprägt wurde. Das ist in der kanadischen Geschichte nicht anders als in der des Nachbarn USA, dessen neuer Präsident jetzt gern beides wieder vereinigen möchte. Mit einem atemberaubenden Finale setzt Corbett in seiner Yakabuski-Trilogie einen ganz anderen Schlusspunkt dagegen.
„Der Drang zu töten, den manche Menschen empfinden, ist nicht anders als der Drang zu stehlen…Der gleiche Drang. Der gleiche Menschenschlag, der da lächelte, raubte, tötete.“
(Lore Kleinert)
Ron Corbett, Autor, Journalist und Rundfunksprecher, lebt in seiner Geburtstadt Ottawa
Ron Corbett „Mission Road“
aus dem kanadischen Englisch von Karen Witthuhn
Kriminalroman, Polar Verlag 2025, 304 Seiten, 17 Euro
Weiterer Buchtipp zu Ron Corbett
Preisgegeben, Kriminalroman