Pascal Garnier
Der Beifahrer
„Scheiße…jetzt bin ich Witwer. Ein anderer Mensch. Was soll ich denn jetzt anziehen?“ Der tödliche Verkehrsunfall seiner Frau hinterlässt Fabien nicht etwa trauernd.
Fremdes Leben
Weil Sylvie zusammen mit ihrem heimlichen Liebhaber verunglückte, setzt er sich auf die Spuren von Martine, dessen Witwe, und beginnt, sie und ihre scheinbar unzertrennliche Freundin Madeleine zu verfolgen.
„In einem fremden Leben zu wühlen, hatte etwas Berauschendes. Ganz egal, wem dieses Leben gehörte…Für einen kurzen Augenblick fragte er sich, wo er war. Irgendwo anders, wie immer.“
Pascal Garnier zeichnet ein sehr genaues Bild eines infantilen Mannes, dessen Mutter die Familie verließ, als er ein Kind war, und der mit dem Schweigen seines Vaters aufwuchs und sein langweiliges Leben beklagt. Wie sehr er sich in anderen täuscht und sich selbst als erbärmlich erlebt, ist tragisch und komisch zugleich. Von unklaren Rachephantasien angetrieben, verwickelt er sich in das fremde Leben, bis er sich mit den beiden Frauen unter falschen Vorspiegelungen anfreundet – oder was er dafür hält. Er trifft sie in einem sorgfältig geplanten Urlaub, und aus der scheinbar erfolgreichen Liebesgeschichte mit der Witwe Martine wird schließlich etwas ganz anderes.
Unerträgliche Konventionen
Garnier lässt bis zum Ende offen, wer das Spiel dominiert, wer Verfolger ist und wer potentielles Opfer. Das Verhältnis Fabiens zu seinem Vater legt eine untergründige Spur, die sich bis zum Ende durchzieht und ihn immer wieder auf sich selbst, seine eingebildeten und tatsächlichen Schwächen zurückwirft – die eines Mannes, der sich selbst nicht erträgt.
„Als er zahlte und sein Vater sorgfältig seine Serviette zusammenfaltete, fühlte sich Fabien entsetzlich erniedrigt. Anstatt seinen Vater dazu zu bringen, ihn ins Vertrauen zu ziehen, hatte er sich nur albern benommen und sich lächerlich gemacht.“
Die rasanten Wendungen, die die kurze Geschichte auf nur 140 Seiten nimmt, sind gänzlich unvorhersehbar. Sie rahmen Fabiens emotionale Leere und Bedürftigkeit auf amüsante und boshafte Weise ein und machen Lust, den unkonventionellen französischen Autor Garnier besser kennenzulernen. Ein Krimi wie ein Film von Claude Chabrol: Unerträgliche Konventionen verwandeln sich in seltsame Rachefeldzüge - Noir pur!
(Lore Kleinert)
Pascal Garnier, 1949–2010, war Romancier, Verfasser von Kurzgeschichten, Kinderbuchautor und Maler, „König“ des französischen 'Roman Noir'
Pascal Garnier „Der Beifahrer“
aus dem Französischen von Felix Mayer
Roman, Septime Verlag 2023, 140 Seiten, 20 Euro
eBook 9,99 Euro