Amanda Lee Koe
Die letzten Strahlen eines Sterns
„Es war, als hätte ich eine Geheimtür zur Geschichte gefunden. Ein Foto, das unendlich viele Fragen aufwirft.“ (Interview des Verlags)
Durch die Geheimtür
Drei Frauen auf einem Foto, festlich gekleidet und Arm in Arm: Marlene Dietrich mit großem Hut und frecher Zigarettenspitze im Mund, Leni Riefenstahl im langärmligen Glitzerkleid und in der Mitte die amerikanische Schauspielerin Anna May Wong mit lackschwarzem Haar, verziert mit einer Chrysantheme, die ihre chinesische Herkunft unterstreichen soll. Als Alfred Eisenstaedt die Fotos auf dem Berliner Presseball schoss, standen alle drei noch am Beginn ihrer Karrieren. Amanda Lee Koe hat die „Geheimtür“ geöffnet und hat sich von den vielen Fragen in die Leben der drei Frauen katapultieren lassen, immer wieder in andere, wechselnde Zeiten. Anna May hoffte, auf ihrer ersten Europareise endlich auch mal eine Hauptrolle angeboten zu bekommen.
„Sie hoffte, in Zukunft eine Person zu sein, die ohne Entschuldigung, ohne Reue Nein sagen konnte. War es denn nicht erlaubt, einfach nur am Set zur Arbeit aufzutauchen und davon abgesehen ein vollkommen normales Privatleben zu haben?“
Kulturelles Fantasieprodukt
Die Autorin zeichnet die Spuren nach, die diesen Wunsch für immer verhindern werden. Nicht nur für die Amerikanerin, die als Chinesin und ewige Nebenrolle abgestempelt bleiben wird und auch mal an Marlene Dietrich Seite spielte, auch für die beiden anderen Frauen. Marlene verlässt als alte, hinfällige Frau ihre Pariser Wohnung nicht mehr; ein Anrufer, den sie Bogie nennt, gibt eine der möglichen Antworten auf die Frage nach einem normalen Leben:
„Wer will schon mit ihnen wie mit einem echten Menschen reden, wenn Sie doch längst zu einem elenden kulturellen Fantasieprodukt geworden sind? So ergeht es Göttinnen in unserem Jahrhundert nun einmal, Frau Dietrich.“
Und Leni Riefenstahl, Hitlers Lieblingsregisseurin, die Marlenes Entdecker und vielleicht besten Regisseur Joseph von Sternberg bewunderte, trifft ihn auf dem Filmfestival Venedig fünfzehn Jahre nach dem Krieg wieder. Noch immer und für den Rest ihres Lebens beteuert sie, kein Nazi gewesen zu sein und beschwört ihre Besessenheit vom Kino, vom Filmemachen:
„Auf der Leinwand lässt sich alles perfektionieren, und nichts schmerzt. Im Leben ist alles anders. Voller Narben, voller Fehler. Man kann nicht nachdrehen, um die Missgeschicke auszubügeln, man kann sie nicht aus der Endfassung herausschneiden.“
Besessen von der Kunst
Mit beeindruckender schriftstellerischer Fantasie und Finesse knüpft die in Singapur und New York lebende Autorin ein ganzes Netz aus feinen roten Fäden, die die Geschichten der drei Frauen verbinden: Ihre Besessenheit von ihrer Kunst, der viele Hindernisse im Weg standen, und ihre Ansprüche an das Leben. Nicht nur die sexistischen Begrenzungen für alle Frauen oder, wie im Falle Anna May Wongs, offener Rassismus, auch ihre Selbsttäuschungen und Zweifel sind Teil ihrer Geschichten und verbinden sind unterschwellig, wenngleich auf sehr verschiedene Weise. Zwischen Anna May Wong und Marlene Dietrich wird es keine Liebe geben, obwohl sich ihre Wege immer wieder, auch zärtlich, kreuzen.
„Solange sie denken konnte, war die wichtigste Lektion, die sie sich selbst beigebracht hatte, alles, was sie wollte, geheim zu halten. Zu oft hatte sie auf die harte Tour gelernt, dass das, was sie wollte, falsch war. Jetzt war sie älter und wusste es besser, aber nun war es zu spät.“
Während Marlene Dietrich bei ihrer Rückkehr nach Deutschland angespuckt wird und dennoch ihr Publikum mit Lily Marleen zurückerobert, trauert Hitlers Regisseurin ihrem letzten, noch im dritten Reich gedrehten Film „Tiefland“ nach. In präzisen Szenen folgt die Autorin dem zerstörerischen Perfektionsdrang der Regisseurin, die keine Grenzen akzeptieren will. Die Menschen aus dem Zigeunerlager, die sie als Nebendarsteller angefordert hatte, bleiben für sie Schachfiguren, genauso beliebig einsetzbar wie der Wolf aus dem Zoo oder die Kameramänner.
Der männliche Blick
Als sie lange vor ihrem Erfolg als Regisseurin Joseph von Sternberg begegnete, versuchte sie, ihn zu beeindrucken, wie später auch die Gönner in der Nazizeit. Amanda Lee Koe macht jedoch nicht den Fehler, sie als bösartiges Monster zu karikieren, sondern gewährt auch ihr Komplexität, in ihrem unbedingten Willen, als Künstlerin anerkannt zu werden und all seinen Folgen.
„Ich lege sehr großem Wert darauf, was ich anziehe, wenn ich einen wichtigen Menschen zum ersten Mal treffe. Ich suche meine Kleidung sorgfältig danach aus, was ich über ihn denke und wie ich von ihm gesehen werden möchte. Es übermittelt eine Nachricht, prägt eine Stimmung.“
Der männliche Blick ist immer mitgedacht, mal mehr, mal weniger wichtig, aber immer in gelungener Verbindung von Fiktion und überlieferter Geschichte. Anna May Wongs Briefwechsel mit Walter Benjamin etwa bedeutet ihm etwas, „weil sie eine schöne Schauspielerin war, und zu lesen, was eine schöne Schauspielerin geschrieben hatte, war eine Möglichkeit, ihr nahe zu sein.“ Was sie schreibt, findet er jedoch trivial, während von Sternberg, den seine Ehefrau wegen Marlene Dietrich verließ, seine Schauspielerin in einen Olymp hebt, den sie schließlich aus eigener Kraft verlässt:
„Marlene und ich, wir sind: eine Handpuppe, die auf einen Handrücken tätowiert ist; eine rekursive Matrjoschka, die kein Ende findet; ein Trompe L’Oeil, zweimal in einem magischen Spiegel verkehrt; ein hermaphroditischer Seestern, der auf dem Meeresgrund Räder schlägt…“
Wenn sie, deren Strahlen sicher am hellsten leuchteten, nur vom illegal lebenden chinesischen Hausmädchen Bébé umsorgt in ihrer Wohnung dem Tod entgegenvegetiert, zeigt sich auch, wie brüchig Erinnerungen sein können – und was davon bleibt, ironisch von der Autorin überblendet:
„Rückblickend unterteilte sie ihre Affären nicht nach Geschlecht oder Dauer, sondern danach, für wen sie eine Rinderbrühe gekocht hatte und für wen nicht.“
Sehnsuchtsraum Kino
Dieser oft lakonische Ton ist es, der den Roman prägt und die hintereinander montierten dreimal drei Szenen virtuos mit Eleganz und Leichtigkeit auflädt. Flimmernd, aber nicht banal, farbig, aber ohne in überflüssigem Augenpulver zu versinken, ist Koes Romandebüt, nach ihrem ersten facettenreichen Erzählband, ebenso originell wie vieldeutig, und eine Verbeugung vor dem Sehnsuchtsraum Kino. Marlene Dietrichs unbekannter Anrufer zitiert ihr am Telefon den geliebten Heinrich von Kleist mit Sätzen, die das Bemühen, das Begehren, die Kämpfe und Niederlagen der drei Stars auf schöne Weise würdigen.
„Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“
(Lore Kleinert)
Amanda Lee Koe, *1988 in Singapur, für ihre Kurzgeschichten mit den wichtigsten Literaturpreisen Singapurs ausgezeichnet, lebt in New York.
Amanda Lee Koe „Die letzten Strahlen eines Sterns“
aus dem Englischen von Zoe Beck
Roman, CulturBooks Verlag 2022, 472 Seiten, 28 Euro
eBook 19,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Amanda Lee Koe
"Ministerium für öffentliche Erregung"