Attica Locke
Black Water Rising
„Er neigt dazu, bei unerwarteten Geräuschen zusammenzuzucken, das Lächeln eines Fremden zu fürchten. Er ist sich nicht sicher, ob man einem gebrochenen Herzen, einem gebrochenem Mann vertrauen kann“
Nächtliche Bootsfahrt
Jay Porter ist Rechtsanwalt, doch seine kleine Kanzlei in Houston wirft kaum etwas ab, und seine Frau ist im achten Monat schwanger. Um ihr eine Freude zu machen, organisiert er eine nächtliche Bootsfahrt auf dem Bayou, der sich durch die Stadt bis zum Hafen schlängelt, wo er in den Golf von Mexiko mündet. Als er Schüsse hört und eine flüchtende Frau widerwillig aus dem Wasser rettet, geht er nicht zur Polizei: ein schwarzer Mann in der Nähe einer weißen Frau ist 1981 in Texas noch immer unerwünscht, selbst wenn er sie rettet. Die Angst vor Unannehmlichkeiten mit den Behörden sitzt zu tief, denn Jay war vor 10 Jahren, als 19jähriger, der Verschwörung zum Mord an einem FBI-Agenten angeklagt und nur um Haaresbreite einer Verurteilung entkommen. Jetzt holt ihn seine Vergangenheit als Black Power-Aktivist wieder ein, denn er wird gebeten, die Vorbereitung eines Hafenarbeiterstreiks zu unterstützen.
Politische Kämpfe
Ohne es zu wollen, zieht ihn seine Rettungstat ebenfalls in die Machenschaften der politischen Kaste der Stadt hinein. Attica Locke nimmt sich viel Zeit, um die Psyche des jungen schwarzen Rechtsanwalts zu charakterisieren, und damit schildert sie zugleich den schwierigen Weg schwarzer Amerikaner, die sich im Kampf um ihre Bürgerrechte engagierten und wieder und wieder feststellen mussten, wie gering ihre Möglichkeiten sind, ein gutes Leben zu führen. Auch in die politischen Kämpfe der siebziger Jahre bietet der Roman tiefe Einblicke, und Locke spart all die Irrwege, Unzulänglichkeiten und Folgen politischer Auseinandersetzungen der Vergangenheit keineswegs aus, sondern bringt Jays Erinnerungen in kunstvollen Rückblenden zur Sprache:
„Jay wollte ihnen von seiner Familie erzählen, was sie kaputtgemacht hatte. Er wollte mit ihnen darüber reden, was es bedeutete, ein Mann zu sein und den Drang, ja die Verpflichtung zu spüren, diejenigen zu beschützen, die man liebte, und über den dumpfen, nagenden Schmerz, dass man es nicht konnte. Aber seine Freunde interessierten sich nicht für sein persönliches Schicksal, sie wollten ein ganzes Volk retten.“
Tiefe Unsicherheit
Dass die Behörden viele Aktivisten dieser Jahre ermorden ließen oder außer Landes trieben, behandelt der Roman mit genauem Hintergrundwissen, ohne plakativ zu werden, da er sich immer an Jays Perspektive hält, bei seinen Ängsten bleibt, seiner tiefen Verlorenheit und dem Bemühen, die tiefsitzende Unsicherheit von Generationen schwarzer Menschen im Süden des Landes zu überwinden. Dass er seine weiße Freundin aus der Zeit der politischen Kämpfe als Bürgermeisterin der Stadt wiedertrifft, sorgt für zusätzliche Spannung. Erst spät zeichnet sich ab, was der Titel, das Ansteigen schwarzen Wassers, bedeutet, und wie mächtig die Ölindustrie der USA in diesen Jahren war. Zugleich gingen kleine Städte und Gemeinden zugrunde, als Minen geschlossen wurden, wie etwa in High Point in der Nähe von Jays Wohnort:
„Die Schließung des Bergwerks war ein vernichtender Schlag für eine Stadt ohne andere Betriebe, abgesehen von kleinen Cafés und einem einzigen Hotel, in dem die Arbeiter abstiegen, die von so weit her wie Beaumont und Port Arthur kamen, um in Zwei- oder Dreitagesschichten im Salzbergwerk zu arbeiten. Das Hotel hatte mittlerweile auch geschlossen…“
Großartiges Debüt
Auch der Streik zeigt, wie rasch die Solidarität zwischen den schwarzen und weißen Arbeitern wieder aufs Spiel gesetzt wird, und wie different die jeweiligen Interessen sich äußern. Tiefsitzender Rassismus lässt sich eben nicht durch Gleichheitsproklamationen aus der Welt schaffen, und Attica Lockes großartiger Debütroman über die 70er und frühen Achtziger Jahre liefert höchst aktuelle Erklärungen auch für die Verwerfungen der Gegenwart. Dass die Hafenarbeiter alsbald durch Maschinen ersetzt werden würden, war damals schon abzusehen, ebenso wie der weite Weg, den Frauen und nichtweiße Menschen in den USA noch vor sich hatten – und haben.
(Lore Kleinert)
Attica Locke, *1974 in Houston/USA, US-amerikanische Schriftstellerin und Drehbuchautorin, lebt in Los Angeles
Attica Locke „Black Water Rising“
aus dem Amerikanischen von Adrea Stumpf und Gabriele Werbeck
Kriminalroman, Polar Verlag, 456 Seiten 24 Euro
eBook 20,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Attica Locke
"Bluebird, Bluebird"