Jacqueline Woodson
Alles glänzt
Am Anfang steht ein Skandal, die 15-jährige Iris aus einer wohlhabenden, aufstrebenden afroamerikanischen Familie ist schwanger, sie will das Kind unbedingt bekommen.
Erwachsenwerden
16 Jahre später steht Tochter Melody im Haus der Großeltern in Brooklyn im Mittelpunkt eines großen Festes, sie tritt symbolisch in die Welt der Erwachsenen ein. Die Musik des kleinen Orchesters und eine leise Traurigkeit über die Beziehung zur Mutter geben den Grundton der Feier an. Melody trägt das Kleid der Mutter, das sie damals aufgrund ihrer frühen Schwangerschaft nicht zu ihrem eigenen großen Fest anziehen konnte.
Nachdem Iris darauf bestanden hatte, das Baby zu behalten, verschwindet sie nach der Geburt ziemlich schnell aus Melodys Leben, geht aufs College, probiert sich aus und verleugnet die Tochter vor ihren Mitstudenten. Als eine der wenigen schwarzen Studentinnen muss sie stets besser sein als die anderen. Melody wächst bei ihrem Vater Aubrey auf, und die Mutter bekommt jedes Jahr ein neues Foto von ihr geschickt.
Familiengeschichte
Woodson schlägt zeithistorisch einen weiten Bogen, der bis zur Familienerinnerung an das Massaker von Tulsa 1921 reicht, bei dem ein Mob weißer Männer Hunderte Schwarze getötet hat, und auch den 11. September spart sie nicht aus. Sie verknüpft diese Ereignisse mit der Familiengeschichte, die aus fünf verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Eine der Stimmen ist die der Großmutter Sabe:
„So wahr ich Sabe heiße, kann ich sagen: Wenn du überleben willst, musst du dein Geld überall hintun. … Hör zu. Die Weißen aus Tulsa haben den Schönheitssalon meiner Großmutter niedergebrannt! Sie haben die Schule abgebrannt … Fast hätten sie auch meine Mama verbrannt, …“
Mutter und Tochter
Die komplizierte Mutter-Tochter Beziehung steht im Mittelpunkt des Romans und als Sabe von einem Gespräch mit Melody berichtet, wird die ganze Tragweite in wenigen Sätzen deutlich:
„Also, du bist meine Großmutter, und Iris ist meine Mutter, aber du bist wie meine Mutter, und sie ist wie … Dann hielt sie inne, und ihr kleines Gesicht zog sich ganz doll zusammen, als wollte sie es rauskriegen. Ich weiß nicht, was sie ist, Grandma. Sie ist wie jemand, der nie hier bei uns war.“
Teenager-Schwangerschaften sind sonst eher ein Bestandteil der Jugendliteratur, aber Woodson, die bisher vor allem für ihre herausragenden Jugendbücher bekannt war, hat das Thema in ihren zweiten Roman für Erwachsene eingebettet. Sie tut dies auf eine bewegende und manchmal unerwartete Weise. Fast nebenbei werden Hautfarbe, soziale Unterschiede, Geschlechterfragen und daraus entstehende Lebensperspektiven verhandelt. Der Roman bewegt sich zwischen Vergangenheit und Gegenwart, erzählt emotional von wütend bis zärtlich. Ein spannendes und berührendes Buch.
(Iris Knappe)
Jacqueline Woodson, geboren 1963 in Ohio, zählt zu den bedeutendsten Jugendbuchautorinnen der USA, ist mehrfach ausgezeichnet, ihre Themen sind afroamerikanische Geschichte, Klassenverhältnisse und Geschlechterhierarchien.
Jacqueline Woodson „Alles glänzt“
aus dem amerikanischen Englisch von Yvonne Eglinger
Roman, Piper Verlag 2021, 208 Seiten, 22 Euro
eBook 18,99