Kiley Reid
Such a Fun Age
Die Schlüsselszene des Romans ist auch sein Anfang: Emira Tucker, die Babysitterin der Chamberlains, hat sich, während sie auf einer Party war, überreden lassen, mit der kleinen Briar spätabends in einen Supermarkt zu gehen.
Falscher Verdacht
Ein Wachmann verdächtigt sie, das weiße Kind entführt zu haben, und ein junger Mann nimmt mit seinem Handy auf, wie sich Emira wütend wehrt. Alles klärt sich auf, als der Vater sie entlastet, doch Alix Chamberlain, die es als Influencerin mit ihrem Blog zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat, will sich jetzt als besonders ‚woke‘ profilieren und der schwarzen Frau unbedingt näherkommen.
„Emira hatte schon mehrere „Mrs. Chamberlains“ getroffen. Sie waren alle reich und überfreundlich und ausgenommen zuvorkommend gegenüber den Leuten, die für sie arbeiteten. Emira wusste, dass Mrs Chamberlain eine Freundschaft suchte, aber sie wusste auch, dass Mrs. Chamberlain ihren Freundinnen gegenüber niemals dieselben Anstrengungen unternehmen würde wie gegenüber Emira: ‚versehentlich zwei Salate zu bestellen und Emira einen anzubieten oder ihr eine Tüte voller Tiefkühlgerichte und Suppen mitzugeben.“
Unverdiente Privilegien
Kiley Reids Roman, der im letzten Jahr auf der Longlist des Booker Prize stand, entwickelt aus der filmreifen Eingangsszene eine atemberaubende Geschichte: über unverdiente Privilegien einer demonstrativ liberalen Mittelschicht und ihren fortdauernden Selbstbetrug ebenso wie über die Selbstzweifel derer, die für sie arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Emira, die ihre Zeit nach dem College etwas verbummelt hat, hat Angst, an ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag aus der Krankenversicherung ihrer Eltern zu fliegen. Und sie mag das kleine Mädchen Briar, das wenig Zuneigung von seiner Mutter erfährt. Als fest angestellte Nanny ginge es ihr – vermeintlich - besser, obwohl all ihre Freundinnen auf eine bessere und angesehenere Arbeit drängen.
„Hätte sie einen richtigen Job mit festen Arbeitszeiten, Zusatzleistungen und einem guten Gehalt, dann würde auch der Rest ihres Daseins allmählich einem Erwachsenenleben gleichen. Sie würde morgens ihr Bett machen und sich an den Geschmack von Kaffee gewöhnen.“
Fortschrittliche Feministin
Im Grunde geht es auch darum, erwachsen zu werden, doch die Hindernisse sind für schwarze Frauen in den USA allemal anders, als es sich Leserinnen hier vorstellen können, und der Roman schildert die unterschiedlichen Szenerien mit großem Detailreichtum und mit Witz. Alix Chamberlains Bemühungen, ihre Babysitterin zu erlösen und zur Freundin zu machen, laufen ins Leere, denn beide Frauen haben wenig gemeinsam, und ihre Interessen schließen sich letztlich aus - wer einen gut bezahlten Job will, kann nicht ewig Nanny für weiße Kinder bleiben, und wer eine Nanny an die Familie binden will, muss ihre Karrierechancen verhindern. Für die unzufriedene Alix, die lieber wieder in New York als in Philadelphia leben würde, ist Emira nicht mehr als ein Spiegel, der ihr Bild als fortschrittliche Feministin reflektiert, denn so sollen die Leserinnen ihres Blogs sie sehen. Mit den schwarzen Studentinnen, Emiras Freundinnen, die an ihren Karrieren arbeiten, hat sie ebenso wenig zu tun, und letztlich fürchtet sie sie. Hinter den wohlmeinenden Absichten der Arrivierten und Privilegierten arbeitet die Autorin das komplizierte Geflecht von strukturellem Rassismus und die Anmaßung der Woke-Anhänger heraus, die das Richtige und Gute für sich gepachtet zu haben glauben.
„Mrs. Chamberlain hatte einen teuren Geschmack, auch wenn sie es nicht offen zugab. Lieber erzählte sie Emira von irgendwelchen Schnäppchen…Emira war nicht ganz klar, warum Mrs. Chamberlain nicht einfach stolz darauf sein konnte, den vollen Preis zu zahlen, nachdem sie es sich offensichtlich leisten konnte.“
Nuancenreich erkundet die Autorin das alltägliche Leben unterschiedlicher Gesellschaftsschichten der USA. Gänzlich klischeefrei und mit ausgeprägtem Sinn für Satire demonstriert ihr gut konstruierter erster Roman, wie Rasse und Klassenzugehörigkeit untrennbar mit der Sicht auf das eigene Selbst und die ehrliche Kommunikation mit anderen verbunden sind.
(Lore Kleinert)
Kiley Reid, *1984 in Los Angeles/Kalifornien, unterrichtete Creative Writing, vor diesem Debütroman, war sie Autorin zahlreicher Erzählungen, sie lebt in Philadelphia.
Kiley Reid „Such a Fun Age“
aus dem Amerikanischen von Corinna Vierkant
Roman, Ullstein Verlag 2021, 352 Seiten, 22 Euro