Ottessa Moshfegh
Der Tod in ihren Händen
Vesta Guhl geht frühmorgens mit ihrem Hund Charlie spazieren – der Wald beginnt gleich hinter dem kleinen Haus, es ist "eine rustikale Waldhütte an einem See", in die sie nach dem Tod ihres Mannes gezogen ist, weit weg vom früheren Wohnort. Sie wollte ihr altes Leben hinter sich lassen.
Schöne Natur
Levant ist ein ziemlich trostloser Ort, "keine überdachten Brücken oder Kolonialvillen, kein Museum, kein historisches Rathaus, aber die Natur in Levant war schön." Ins nächstgelegene Städtchen kommen im Sommer ein paar Boostouristen:
"Die Gegend war also nicht vollständig von der Welt abgeschnitten...Bethsmane war hässlich, an jedem zweiten Kleinlaster und Wohnwagen hing ein Verkaufsschild. Eine absurde Idee, dass jemand freiwillig an einen solchen Ort ziehen würde."
Freudloses Einerlei
Mitgenommen hat sie die Urne ihres Mannes, die Asche versenkt sie irgendwann im See. Vestas Haus ist nur karg möbliert, einen Fernseher gibt es nicht,
"weil ich bei allem, was ich auf der Mattscheibe sah, immer das Gefühl hatte, ich wüsste es besser, und schon war ich völlig damit beschäftigt, was in meinem Kopf vor sich ging, fing an, mich aufzuregen, musste aufstehen und herumlaufen."
Sie hat keine Freunde, geht ab und zu im Supermarkt einkaufen, ein Tag gleicht dem anderen, manchmal besucht sie die Bibliothek, scheint am Kontakt mit Menschen wenig interessiert. Sie hat Charlie, das genügt, der Hund ist ihre Familie, ersetzt ihr Kind und Mann. An diesem Morgen läuft er wie immer voran und ignoriert ein Stück Papier, das auf dem Boden liegt. Er schnüffelt nicht mal dran:
"Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche."
Zwanghafte Suche
Aber da ist keine Leiche, es gibt keinerlei Spuren, die auf einen Mord hindeuten. Vesta nimmt den Zettel mit nach Hause, beginnt zu grübeln, die geheimnisvolle Botschaft lässt sie nicht mehr los. Dem "Ich" gibt sie einen Namen - Blake. Sie beginnt sich diese Magda auszumalen,
"rank und schlank, mit langen schwarzen Haaren...Ihre Turnschuhe waren schwarz oder blau, unauffällig. Verdreckt und abgetragen, aber auf eine charmante Art und Weise."
Die Suche nach Hinweisen wird zur Obsession, zwanghaft versucht Vesta, Zusammenhänge herzustellen, setzt aus erfundenen Handlungen und Orten ein Mosaik zusamenn, um eine blutige Tat zu konstruieren, die sie sich ebenfalls detailgenau ausmalt. Sie holt sich Tipps, wie man einen Krimi schreibt, aus dem Internet, bestellt sich einen Tarnanzug und druckt einen kriminalistischen Fragebogen aus, um ein Persönlichkeitsprofil von Magda zu erstellen.
Grenzenlose Einsamkeit
Ihre Gedanken schweifen immer wieder ab, führen zurück in ihre Vergangenheit, in das alte Leben, dem sie entflohen ist. Spannend und detailliert kristallisiert sich das Leben einer zutiefst einsamen und neurotischen Frau heraus:
“.. dann dachte ich an meine Einsamkeit, an den näherrückenden Tod, dass mich niemand kannte, dass mein Tod niemandem nahegehen würde. Ich dachte an meine seit Langem toten Eltern, wie wenig Liebe sie mir geschenkt hatten. Ich dachte an Walter mit seinen widerlich nachsichtigen Zärtlichkeiten ... Ich war noch nie richtig geliebt worden.”
Ottessa Moshfegh schreibt keine Hochglanzgeschichten von Menschen, sie liebt die düsteren Milieus, die freudlosen, zwielichtigen Seiten ihrer Figuren, die eher am Rand der Gesellschaft leben, ihre Lebenslügen und enttäuschten Sehnsüchte, ihre Schatten, die sie in Schach zu halten versuchen und die sie doch irgendwann einholen. Auch Vesta schaut sie gnadenlos genau bis in die Tiefen ihrer Seele. Die Geschichte der alten Frau, die ihren Hund abgöttisch liebt und fast wahnsinnig wird, als er verschwunden ist, endet mit einer psychischen und physischen Kraftprobe, bei dem sich die Grenzen von Realität und Fantasie vollends auflösen.
(Christiane Schwalbe)
Ottessa Moshfegh, *1981 in Boston, Massachusetts, mehrfach ausgezeichnete US-amerikanische Schriftstellerin kroatisch-persischer Abstammung, lebt in Los Angeles
Ottessa Moshfegh „Der Tod in ihren Händen"
aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Roman, Hanser Berlin 2021, 256 Seiten, 22 Euro
eBook 16,99 Euro