Colson Whitehead
Zone One
Die "Zone One" ist der südlichste Teil von Manhattan, die wenigen Überlebenden einer Pandemie fürchten die Übermacht zombiehafter Skeletons und haben sich hinter einer Mauer unter dem Schutz der Armee verbarrikadiert. Dort durchsucht Mark Spitz mit seiner dreiköpfigen Sweeper-Einheit, einer Art Reinigungstrupp, Block um Block nach den infizierten Zombies.
Populäres Genre
Ein Horrorszenario, doch der Roman ist weit mehr als nur eine Persiflage auf das populäre Horrorgenre. Mark Spitz, ein noch junger Mann und Überlebender:
"Wir sehen andere Menschen ohnehin nicht, nur die Monster, die wir aus ihnen machen. Für Mark Spitz waren die Toten seine Nachbarn, die Menschen, die er tagtäglich, etwa in einem Subwaywaggon sah, das phantastische Spektrum der Metropole."
Verseuchte Todeszone
Nach dieser Stadt hatte er sich gesehnt, und wir als Leser bewegen uns mit ihm, mit seinen Überlegungen und Erinnerungen für drei Tage durch die verseuchte Todeszone, die äußerlich intakt erscheint. Einige der Untoten, die nur darauf aus sind, die Lebenden zu infizieren, sind einfach erstarrt bei dem, was sie besonders gern taten – etwa der
"Vitamin-Shop-Verkäufer im Stillstand zwischen den Regalen, ausgelaugt inmitten des Überflusses, der Fläschchen mit alten Heilmitteln und Placebokapseln."
Kleines Leben
So entstehen unendlich traurige, fast poetische Bilder in all der Zerstörung. Whiteheads Sprache ist wunderschön, sie schweift aus, mäandert zwischen bitterer Lakonie und sehr genauen Erinnerungen an ein kleines Leben in einem großen Land, von dem jetzt nicht mehr viel übrig ist – außer vielleicht einer Art neuer Regierung in Buffalo, den Soldaten und denen, die um eine Zukunft kämpfen, für die sie nur die alten Bilder ihrer Erinnerung haben.
Tiefe Traumatisierung
Es heißt an einer Stelle: dass Mark Spitz, der Nichtschwimmer, am Ende der Welt aufblühte, weil er ein "Talent für die Apokalypse", fürs Überleben hat und weil er so unglaublich mittelmäßig und anpassungsfähig war, ein Durchschnittsmensch mit einer zugleich sehr empfindlichen und genauen Wahrnehmung. Er und die anderen, die überlebten, zeigen alle Merkmale tiefster Traumatisierung. Sie mussten töten, wurden gejagt, und das gibt uns die Möglichkeit nachzuvollziehen, was an Menschlichem unter solchen Bedingungen möglicherweise bleibt, oder wie es sich notwendig verändert.
Kampf ums Überleben
Mit Zombiegeschichten und Horror hat das nichts mehr zu tun, denn in Mark Spitz‘ Erinnerungen überlagern sich die Bilder von seiner Kindheit und Jugend, vom Leben, wie wir es kennen, mit dem alltäglichen Kampf ums Überleben unter diesen neuen, tödlichen Umständen.
"Die Seuche brachte das Herz zum Stillstand, der Wesenskern löste sich auf von dem armseligen menschlichen Fleisch und paddelte durch das Ektoplasma oder was auch immer, und dann startete die Seuche das Herz neu. Was für eine grausame Gottheit gewährte einen flüchtigen Blick auf die Sphäre der Engel, nur um sie einem dann zu entreißen und einen zur Perspektive eines Monsters zu verdammen?"
Rituale ohne Sinn
Dieser Mark Spitz ist eher ein Tagträumer, der um die sinnentleerten Werte und Rituale weiß und um seine eigenen Defizite. Auch die Nebenfiguren, die anderen Sweeper in diesen Reinigungstrupps, die Zufallsbekanntschaften während der Flucht vom Lande in die Stadt sind fein und liebevoll gezeichnet. Der Effekt, der durch Whiteheads Art entsteht, mit diesem Mann fast meditativ mitzugehen, und das, was von der Welt übrig ist, zu mustern, ist eindringlich; denn immer, wenn man glaubt, einen Ruhepunkt zu erreichen, bricht jede Art von Normalität wieder in sich zusammen.
Ende der Welt
Whitehead hat 9/11 in New York erlebt, die Asche, die vom Himmel fiel, die Toten, die aus den Fenstern der Türme stürzten, und diese Motive spielen in diesem Roman über das mögliche Ende unserer Welt eine große Rolle.
Normal bedeutete "die Vergangenheit. Normal war das ungebrochene Idyll des Lebens davor. Die Gegenwart war eine Reihe von Zeitspannen, die sich nur durch den Grad von Schrecken, den sie bargen, voneinander unterschieden. Die Zukunft war der Lehm in ihren Händen."
Ultimativer Totentanz
Colson Whitehead, ein afroamerikanischer Autor, kennt die amerikanischen Legenden ebenso gut wie die Popkultur. Er richtet zwar einen ironischen Blick auf seine Zeitgenossen, durchdringt aber die Oberfläche mit Mitgefühl, und sein Sinn für Stil ist ausgeprägt und raffiniert. Die Paranoia der Zombiefilme nutzt er, um - wie er selbst sagt - lebendig zu bleiben.
Colson Whitehead inszeniert diesen Versuch, das Land, die Stadt nach der großen Verseuchung wieder herzurichten, als ultimativen Totentanz, der ja immer auch allegorisches Lehrstück war. Damit bindet er diese Geschichte ganz bewusst an die große Geschichte der westlichen Kultur.
(Lore Kleinert)
Colson Whitehead *1969 in New York, Journalist und Schriftsteller, lebt in Brooklyn
Colson Whitehead "Zone One"
übersetzt aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Hanser 2014, 304 Seiten, 19,90 Euro eBook 15,99 Euro