Paul Auster
Winterjournal
Paul Auster macht Inventur. Er tritt in einen inneren Dialog mit sich selbst - mit dieser Du-Form wollte er dem Leser etwas geben, "was die Erinnerungen an sein eigenes Leben wachruft", und das gelingt äußerst detailgenau: Alle einundzwanzig Häuser und Wohnungen, in denen er länger gelebt hat, alle Frauen und Freunde, die Baseball-Spiele, bei denen er als Kind auf dem Platz stand, die Beleidigungen, die im Leben zu erdulden waren, und der Trost.
Große Liebe
Wir bekommen ein Bild des New York der vergangenen Jahrzehnte, von seinem Geburtsstädtchen Newark in früheren Zeiten, von den Vereinigten Staaten von Amerika nach dem zweiten Weltkrieg. Der Schriftsteller lässt seine Liebesbeziehungen Revue passieren: viele kleine, einige große, und schließlich – dreißig Jahre lang – nur noch eine, die große Liebe zu seiner Frau Siri Hustvedt.
"Bis dahin war jede Entscheidung, die du in Sachen Frauen getroffen hattest, eine falsche Entscheidung gewesen – diese war es nicht."
Begegnungen mit dem Tod
Er erzählt über seine Kinder, ihr Aufwachsen, ihre Selbstständigkeit, und über die so ganz andere Lebensweise im jüdischen und im norwegischen Zweig seiner Familie. Seine Blessuren und Krankheiten werden bedacht und in ihren Wirkungen überprüft, auch die Begegnungen mit dem Tod, zum Beispiel dem der Mutter, oder auch seine Unfähigkeit, Wege im Kopf zu behalten.
"Jede einzelne Narbe ist die Spur einer verheilten Wunde, und jede Wunde war das Ergebnis einer unerwarteten Kollision mit der Welt".
Reise zu sich selbst
Eine uneitle, sehr ehrliche und gefühlvolle Reise zu sich selbst, die sich dadurch auszeichnet, dass er den Körper in den Mittelpunkt stellt, die Narben, den Schmerz, die Lust, und das macht uns als Leser zu kundigen und mitfühlenden Begleitern. Wir finden vieles wieder, werden aber nicht zu falscher Nähe oder unangemessener Kumpanei verleitet, sondern sind eingeladen, ihn auf seiner Reise ins eigene Leben zu begleiten: Eine sehr besondere literarische Komposition, die auch von Austers lässigem Humor zeugt, den wir aus seinen Romanen kennen; denn er hat sein eigenes Leben, wie er sagt, immer auch als Ersatzteillager für seine Bücher und als Inspiration genommen.
"Schreiben beginnt im Körper, es ist die Musik des Körpers, und auch wenn die Worte Bedeutung haben … ist es die Musik der Worte, wo die Bedeutungen beginnen."
Winter des Lebens
Das Winterjournal macht deutlich, dass man den Autor Paul Auster nicht von seiner Prosa trennen kann und es eröffnet einen neuen Zugang auch zu seiner komplexen Art zu schreiben. Denn eine Autobiografie sollte es nicht sein - 99% dessen, was er getan und erlebt habe, sagte er in einem Interview, sei nicht in das Buch eingegangen. Eine Meditation über die eigene Sterblichkeit, die man so noch nicht gelesen hat:
"Du bist vierundsechzig Jahre alt. Draußen ist alles grau, fast weiß, die Sonne nicht sichtbar. Du fragst dich: Wie viele Morgen bleiben noch? Eine Tür ist zugefallen, eine andere hat sich geöffnet. Du bist in den Winter Deines Lebens eingetreten."
(Lore Kleinert)
Paul Benjamin Auster *1947 in Newark, New Jersey/USA, US-amerikanischer Schriftsteller, verheiratet mit Siri Hustvedt
Paul Auster "Winterjournal"
Roman, übersetzt aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz
Rowohlt 2013, 256 Seiten, 19.95 Euro, eBook 16,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Paul Auster
Bericht aus dem Inneren