J. Ryan Stradal
Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens
Der rote Faden dieses Romans: die Freude an der Nahrung, die Begeisterung fürs Kochen/Backen/Braten und was immer man mit Rohstoffen und Zutaten so alles anfangen kann. Die großen Dramen sind darin eingebettet und werden zu verpassten Gelegenheiten und immer auch überraschenden Wendungen.
Meisterköchin
Eva Thorvald verliert ihre Eltern schon als kleines Kind, doch nach dem frühen Tod ihres Vaters, der sie schon im Alter von drei Monaten mit pürierter Schweineschulter verwöhnen wollte, wird sie von der Familie großgezogen und erfährt erst durch einen Zufall, wer ihre Eltern waren. In acht Kapiteln, alle einem Leibgericht gewidmet, wird ihre Bestimmung, sich vom eigensinnigen und gemobbten Teenager zur Meisterköchin zu entwickeln, beleuchtet, jeweils aus der Sicht eines Menschen, der sie liebte, beneidete oder nur ihren Weg kreuzte.
"Sie schien an Gemüse, Fleisch, Bakterien, Feuer, Wasser und sogar den Luftmolekülen Wunder zu vollbringen und kein Detail ungeprüft zu lassen. Es gab jede Menge Köche, die innovativere Ideen hatten, die mutiger entschieden, was sie auf den Teller brachten, aber niemand hatte so erstaunliche Resultate aufzuweisen wie sie. Es konnte nur deshalb so großartige und himmlische Dinge auf der Welt geben, weil niemand alles wusste und Perfektion unerreichbar war. Menschen wie Eva ließen uns einen Augenblick daran zweifeln."
Wege der Esskultur
Mal aus männlicher, mal aus weiblicher Perspektive kommen wir diesem sehr irdischen Küchenwunder so nah, wie es der jeweilige Blick erlaubt. Mitunter erfahren wir, was Eva selbst denkt, dann wieder umkreisen wir sie aus der Ferne, und in jedem der acht Kapitel blättert der Autor eine fesselnde Facette des Lebens im mittleren Westen der USA auf. Er schildert dabei nicht das Kochen selbst, sondern die Wege der Esskultur, wie sie sich mit Blick auf die Tradition verzweigen und entwickeln und viel über die jeweilige Lebensart erzählen, ganz im Sinne des großen Schriftstellers Antonio Tabucchi, der das Kulinarische als "wunderbares Gegenmittel zum Erhabenen" begriff. Wild zum Beispiel wurde selbstverständlich gejagt, und Stradal verfolgt seinen Weg in die Küche mit viel Humor:
"Den Leuten war einfach nicht begreiflich zu machen, dass Rotwild Ungeziefer war. Riesige, pelzige Kakerlaken. Sie fielen in eine Gegend ein, vermehrten sich wie die Hölle und fraßen alles, was nicht niet- und nagelfest war. Ein paar ausgewachsene Hirsche konnten einen kompletten Garten in ein paar Stunden abgrasen. Und zwar alles, ganze Pflanzen mit Stiel, Blättern und sogar Wurzeln. Sie ließen einem nichts."
Gourmet-Satire
Kein Wunder also, dass Wild schließlich auch auf der Menükarte des unfassbar teuren Mahls auftaucht, das Eva als Chefin des Pop-up-Dinnerclubs den ausgewählten Feinschmeckern, nachdem sie drei Jahre lang darauf gewartet haben, im letzten Kapitel serviert:
"Zweiter Gang: Wild vom Grill, serviert mit gegrillten Moskwitsch-Tomaten und gedünstetem Grünkohl mit Vinaigrette (hausgemachte Sweet Pepper Jelly&Sherry-Essig& Traubenkern-Öl)".
Hier steigert sich der Roman zu einer großartigen Satire auf die elitären Gourmets, die auf dieser Dinner Party in Hysterie verfallen, wohl um den hohen Preis vor sich selbst zu rechtfertigen.
"Mi-sun hob den Kopf, und über ihre Wangen liefen Tränen, aber sie lächelte. Man-hee wackelte mit dem Kopf, die Augen hatte er geschlossen, während er genüsslich kaute. Mi-sun wischte sich die Tränen aus den Augen."
Großes in der Küche
Essen stiftet Identität, ob unter Feinschmeckern, bei tief religiösen Kirchgängerinnen, die auf den ländlichen Backwettbewerben um den Preis für den besten Kuchenriegel kämpfen, oder unter den selbstgerechten Gesundheitsfanatikern mit ihren puristischen Dogmen. All diese unterschiedlichen Szenen skizziert J. Ryan Stradal, der selbst in Minnesota aufwuchs, mit leichter Hand, Witz und scharfem Blick, und sein Roman bietet das gastronomische Portrait einer ganzen Region, gewürzt mit Leidenschaft, Klugheit und Erfindergeist und im Wissen verankert, dass man mit dem, was man hat, Großes bewirken kann. In der Küche und im Leben.
(Lore Kleinert)
J. Ryan Stradal *1975 in Minnesota, Journalist, Lektor und Schriftsteller sowie Produzent von Fernsehserien, lebt in Los Angeles, Kalifornien
J. Ryan Stradal "Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens"
Aus dem Amerikanischen von Anna-Nina Kroll
Roman mit sieben Rezepten, Diogenes 2016, 432 Seiten, 24 Euro
eBook 20,99 Euro
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