John Williams
Augustus
In seiner Jugend träumte er davon, Schriftsteller zu werden und schrieb sogar einige Gedichte, im Wettstreit mit seinem Freund Maecenas. Doch als sein Großonkel Julius Caesar ermordet wurde, ergriff der neunzehnjährige Gaius Octavian seine Chance, die Mörder aus dem Weg zu räumen und manövrierte sich ins Zentrum der Macht.
Tragik eines Lebens
Sieben Jahre bevor er im hohen Alter als legendärer Kaiser Augustus starb, schrieb Nikolaos von Damaskus, einer seiner Biographen: "Octavius Cäsar ist Rom, und das ist vermutlich die Tragik seines Lebens." John Williams entwirft in seinem vierten und zu seinen Lebzeiten erfolgreichsten Roman ein lebhaftes, vielfarbiges Bild dieses Mannes, dem es gelang, ein Weltreich zu schmieden, das weit über seinen Bestand hinaus die westliche Welt prägen sollte.
Tage der Jugend
Die Form des Briefromans erlaubt es ihm, aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln Zugang zu diesem ungewöhnlichen Herrscher zu finden. Die ihn liebten und sich als Freunde betrachten konnten, kannten ihn aus den Zeiten der Jugend, des ehrgeizigen Kampfes, des Weges nach ganz oben, wie Maecenas in einem Brief an Titus Livius über die ersten gemeinsamen Abenteuer berichtet:
"Vielleicht sind wir klüger, wenn wir jung sind, auch wenn die Philosophen dies gewiss bestreiten. Aber ich schwöre Dir, von diesem Augenblick an waren wir Freunde, und dieser Moment närrischen Lachens knüpfte ein Band, das stärker als alles war, was uns später verbinden sollte – Siege oder Niederlagen, Treue und Verrat, Trauer oder Freude. Doch die Tage der Jugend vergehen, und ein Teil von uns vergeht mit ihnen, um niemals wiederzukehren."
Rom im Mittelpunkt
Mit leiser Melancholie unterlegt der Autor viele dieser fiktiven Dokumente – Briefe von Zeitgenossen, Tagebucheinträge, Militärbefehle - denn der Preis der Macht, den der zierliche und eher kränkliche Octavian zahlt, ist hoch und hinterlässt Spuren, in ihm selbst, jedem seiner Familienmitglieder, soweit sie überleben, allen, die ihm nahekommen. Rom ist Mittelpunkt ihrer aller Leben, ein geschäftiges und hochgerüstetes Zentrum der Welt, wie Strabo von Amasia sich an die Zeit von Augustus‘ Anfängen erinnert, nicht ohne Missbehagen:
"Diese Welt ist eine unmittelbare Welt – eine Welt von Ursache und Wirkung, von Gerücht und Tatsache, von Vorteil und Verlust… Für die Römer ist Gelehrtheit nur ein Mittel zum Zweck, Wahrheit etwas, das Nutzen haben muss. Sogar ihre Götter dienen dem Staat, nicht anders herum."
Und sein Freund Nikolaos von Damaskus schreibt ihm viele Jahre später, nachdem er 14 Jahre in der Stadt lebte und sie leid ist:
"Fraktion kämpft gegen Fraktion, zahllose Gerüchte machen die Runde, und niemand scheint zufrieden damit zu sein, jenes wohlhabende, würdevolle Leben zu führen, das der Kaiser möglich gemacht hat. Es sind wirklich außergewöhnliche Menschen…Man könnte meinen, sie könnten weder Sicherheit noch Frieden und Wohlstand ertragen."
Vater und Tochter
Welcher Anstrengungen es bedurfte, für ein stabiles Reich zu sorgen, spiegelt sich vor allem im Leben von Augustus‘ einziger Tochter wider, deren Ehen ausschließlich Rom dienten. Mit beträchtlichem Feingefühl entwickelt William die von Zuneigung getragene Beziehung zwischen Vater und Tochter, bis die widerspenstige, kluge und selbstständige Frau schließlich in eine der zahlreichen Intrigen gegen den Kaiser verwickelt und auf dem Altar der Staatsraison geopfert und verbannt wird.
Idee der Macht
Der Autor lässt die Geschichten hinter der Geschichte aufglühen, ohne den Personen zu nahe zu treten, und das lässt uns diese Menschen, deren Leben sich vor 2000 Jahren erfüllte, in der Logik ihrer Zeit begreifen und uns dennoch vertraut sein. Was sie antrieb, Ehrgeiz, Neid, Leidenschaft oder Pflichtgefühl, ist auch heute keinem fremd, und Williams zeichnet nach, wohin es sie führte: Im Zweifelsfall dazu, alle persönlichen Neigungen dem Gewinn oder Erhalt der Idee der Macht zu opfern. Den Kaiser selbst lässt er erst im letzten Teil des Romans in einem Brief an seinen Biographen Nikolaos zu Wort kommen - ein Kunstgriff, der ihm eine abgeklärte Sicht auf die Brüchigkeit aller Imperien erlaubt, ohne den Horizont seines Kosmos zu überschreiten:
"Rom wird nicht ewig bestehen, aber darauf kommt es nicht an…Rom hatte seinen Augenblick, und der vergeht nicht spurlos; die Barbaren werden zu Römern, die sie einst eroberten, Latein wird ihre rauhe Sprache glätten, eine Vision dessen, was sie zerstörten, wird ihnen im Blut bleiben. Und mit der Zeit, die so endlos ist wie das salzige Meer, was mich in meiner zerbrechlichen Nussschale trägt, wird auch dieser Preis gering sein, wird zu weniger als nichts."
Ein blinder Spiegel
Was in seiner offiziellen Biografie steht, erscheint ihm als blinder Spiegel, in dem er sich nicht wiedererkennt, und mit dieser Differenz spielt der Schriftsteller virtuos. Am Ende steht die Einsicht, dass, wer sich anschickt, die Welt zu verändern, sich selbst und anderen gegenüber eine "harte, geheime Seite" in sich finden oder erschaffen muss. Wie sich dieser Prozess in einem langen Leben niederschlägt, ist in John Williams "Augustus" ebenso glänzend entwickelt wie schon in seinen vorigen wiederentdeckten Romanen über Männer und ihre Fehlschläge.
(Lore Kleinert)
John Williams *1922 in Texas, US-amerikanischer Schriftsteller, gestorben 1994 Arkansas
John Williams "Augustus"
Aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Robben
dtv 2016, 480 Seiten, 24 Euro
Hörbuch: Der Hörverlag, 2 mp3-CDs, 22,99 Euro
Weiterer Buchtipps zu John Williams
"Stoner"
"Butcher's Crossing"