John Williams
Butcher’s Crossing
Dass sich der Titel von John Williams Roman nicht nur auf den Ort bezieht, von dem aus die kleine Gruppe von Männern aufbricht, um eine Büffelherde in einem legendären Tal der Colorado Rockies aufzuspüren, wird spätestens dann klar, als die Tiere tatsächlich gefunden werden und ein ungeheures Schlachtfest seinen Lauf nimmt.
Eroberer im Blick
Der junge Will Andrews hat sich der Reise angeschlossen und finanziert sie, nachdem er das aussichtsreiche Studentenleben in Harvard hinter sich gelassen hat, um sich in den Weiten der Prärie selbst zu finden, beflügelt von den Schriften Ralph Waldo Emersons und dem Vorbild der frühen Forscher und Eroberer.
"…durch seine Gedanken trieben Bruchstücke von dem, was Miller soeben über jenes Bergland erzählt hatte, zu dem sie aufbrechen würden; und diese Bruchstücke glitzerten, drehten sich und fügten sich sacht zu willkürlichen, seltsamen Mustern zusammen. Wie die farbigen Glassplitter in einem Kaleidoskop ordneten sie sich mit jeder Drehung neu und zogen ihr Licht aus unbedeutenden, zufälligen Quellen."
Geschärfte Wahrnehmung
John Williams beschreibt die menschenleere Landschaft in seiner eleganten, poetischen Sprache, die die Farben des Büffelgrases feiert, die Anstrengungen, denen die vier Männer, ihre Pferde und das Ochsengespann ausgesetzt sind, lebendig werden lässt und den Empfindungen der vier Männer völlig unprätentiös den angemessenen Raum gibt. Andrews vor allem schärft seine Wahrnehmung und spürt seinen Veränderungen nach:
"Er spürte, wie eine harte Sehnigkeit seinen Körper beschlich, und meinte manchmal, in einen neuen Körper zu wechseln, vielleicht auch den wahren Körper, der unter Schichten aus falschem Weiß, unwahrer Weichheit und Sanftheit verborgen gelegen hatte."
Und er vertraut dem Abenteurer Miller, einem schweigsamen Mann, der den Westen kennt und scheinbar jeder Herausforderung gewachsen ist:
"Er saß im Sattel, als wäre sein Leib eine natürliche Ergänzung des Reittieres; er ging, als wäre seine Bewegung nichts als eine Liebkosung der Konturen dieser Erde, über die er schritt; und seinen Blick auf die Prärie fand Andrews so offen, frei und grenzenlos wie das Land, dem dieser Blick galt."
Archaische Gewalt
John Williams baut den Roman auf wie eine beklemmende Symphonie: mit steigender Spannung, je näher die Gruppe dem erhofften Ziel kommt, mit Abschweifungen und Hindernissen, die doch nur dazu dienen, auf die ersehnte Begegnung mit Amerikas letzter riesiger Büffelherde vorzubereiten. Die Tötungsorgie, in die die Männer dann verfallen, ist von archaischer Gewalt – selten ist die Art des westlichen Eroberers, fremden Welten und anderen Lebewesen zu begegnen, hellsichtiger und genauer in einer einzigen Szene erfasst worden.
Blinde Wut
Schon jetzt beginnt Will Andrews zu ahnen, dass die Vision, sein "unveränderliches Selbst" zu finden, eine Illusion ist, auf Eitelkeit fußend, denn er spürt, dass nicht nur Blutrausch und blinde Wut Triebfedern der Vernichtung sind, sondern begreift sie "als kalte, hirnlose Reaktion auf das Leben, auf das Miller sich eingelassen hatte", ein Leben, das von Gier getrieben die eigenen Lebensgrundlagen zerstören wird. Doch diese Erkenntnis ist erst am Ende des Romans möglich, denn zuvor ist wieder Miller der einzige, der die vier ungleichen Kumpane am Leben erhalten kann, als ein Blizzard sie einschneit und die Rückkehr vor dem Winter verhindert. Wie die Männer es erleben, eingeschlossen und einsam zu sein, jeder auf seine Weise, ist ungeheuer genau und subtil gezeichnet, etwa wenn Will zwischen den Schneewehen nur noch wirbelnde weiße Strudel erkennt:
"Wohin er auch sah, erblickte er das immer selbe Weiß, und er hatte den Eindruck, dass sie sich in schwindelerregendem Tempo im Kreis bewegten, rund und rund, in immer engeren Ringen, bis sie sich schließlich rasend schnell um einen einzigen Punkt drehten-“
Idealistische Hoffnungen
Im Gefühl, die Zeit sei stehengeblieben, lernt er, die Stille zu akzeptieren, während Schneider, der als Häuter der Büffel mitkam, leise und bösartig rebelliert, der Kutscher Charly Hoge säuft und auf seine Bibel starrt und nur Miller in seinem Element ist. Was für eine Faszination von einem Mann ausgehen kann, der gelernt hat, in einer Umgebung zu überleben, die er als feindlich begreift und zugleich beherrscht, beschreibt John Williams wie einen Abgesang auf die Eroberung des Westens, und damit verabschiedet er zugleich die idealistischen Hoffnungen auf Wiedergeburt in der nur scheinbar unberührten Natur. Denn der Reichtum, den die Männer vermeintlich mit den Tausenden von abgezogenen Büffelhäuten angehäuft haben, ist von dieser Welt, und mit seiner Pointe am Ende des Romans im kleinen Ort Butcher’s Crossing bringt Williams virtuos die Marktgesetze in Stellung.
Großes Lesevergnügen
Wie schon in seinem zuvor so erfolgreichen neu veröffentlichtem Roman "Stoner" gelingt es Williams, den Weg eines Menschen zu zeigen, der einiges riskiert, der Fehler macht, scheitert, sich verändert – und dem zu folgen ein ungewöhnliches Lesevergnügen ist.
Ein großer Autor kann wiederentdeckt werden!
(Lore Kleinert)
John Williams *1922 in Texas, US-amerikanischer Schriftsteller, gestorben 1994 Arkansas
John Williams "Butcher’s Crossing"
übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben
Deutscher Taschenbuch Verlag, 368 Seiten 21.90 Euro
eBook 18,99 Euro