Verna B. Carleton
Zurück in Berlin.
Ein verschollener Nachkriegsroman kann - und sollte - wiederentdeckt werden: Die Journalistin Verna B. Carleton, die während des 2. Weltkriegs in Mexiko Freundschaft mit vielen deutschen Exilanten schloss, schrieb ihren ersten und einzigen Roman über die Heimkehr eines Mannes nach Berlin.
Schwere Krankheit
Eric Devon ist Engländer, doch er wuchs als Jude von 1910 bis 1934 in Schöneberg auf, flüchtete ins Exil und verdrängte sein erstes Leben, nur scheinbar mit Erfolg, denn die Panik holt ihn ein und droht mit schwerer psychischer Krankheit. "Die Nazis haben dich nicht umgebracht, doch ihre Gespenster schaffen es noch, wenn du so weitermachst," rät ihm die Freundin, die sich mit ihm und seiner Frau schließlich auf den Weg nach Berlin macht, und hinter der man die Verfasserin vermuten kann. In ihrem außerordentlich klugen und scharfsinnigen Nachwort analysiert Ulrike Draesner die Bedingungen der Menschen im Exil, das, was sie fürchteten, und das, was sie nach ihrer Rückkehr erlebten, und sie ordnet Verna B. Carletons Roman unter die ganz großen und wichtigen Nachkriegserzählungen ein.
"Eine Camouflage-Existenz ist anstrengend. Exil erscheint hier sowohl als Rettungsraum wie als leere Blase. Es bedeutet Schutzhülle und Abschottung in einem, eine Kapsel: kalt, glitzernd, verlockend."
Spuren der Vergangenheit
Verna B. Carletons Roman kreist um das Thema von Identität und Fremdheit, - nichts, was jemals gegeben oder dauerhaft zu erreichen ist, denn niemand kann ohne den Konsens anderer an einem fremden Ort heimisch werden; Heimat sei, so Ulrike Draesner, immer ein soziales Konstrukt. Deshalb wird Eric nicht nur die Spuren seines früheren Lebens wiederfinden müssen, sondern sich auch mit den höchst unterschiedlichen Menschen konfrontieren, denen er im Nachkriegsdeutschland begegnet. 1957 schreibt er in einem Brief:
"Manchmal ist dieses Herumstochern in der Vergangenheit unerträglich. Ich frage mich, ob wir wirklich Überlebende oder doch nur Gespenster sind, die sich noch nicht von ihrem Körper lösen können."
Fast prophetisch
Souverän führt Verna Carleton durch die komplexen Familienverhältnisse, gewährt ihren Figuren die Gnade möglicher Veränderung und stattet insbesondere die Frauen mit Intelligenz und Mut aus, und so gelingt ihr das Portrait einer Generation in einem zerrissenen Land, die sich, vom Krieg beschädigt, mühsam neu erfinden und den je eigenen Abstand zur Schuld justieren musste. Dass sie selbst als Augenzeugin und als Freundin der emigrierten Fotografin Gisèle Freund, als Sophia Gisela Freund in Berlin Schöneberg geboren, 1957 Deutschland und Berlin besuchte, reichert ihren Roman mit genauen Beobachtungen an, die mitunter fast prophetisch wirken, etwa wenn Eric vor dem abgerissenen Stadtschloss steht:
"Der zugepflasterte Platz war eine architektonische Ohrfeige, kein Gran besser als die Pralinenschachtelhäuser im Westen der Stadt. Berlin war nie eine schöne Stadt … aber wenn der Wiederaufbau in allen Sektoren vollendet ist, wird es einfach nur noch grausig sein, es sei denn, es geschieht ein Wunder und man einigt sich auf ein gemeinsames Konzept."
Berührende Zeitreise
Eine Hoffnung, die spätestens mit dem Mauerbau begraben werden musste. Verna Carleton selbst, deren Berlin-Roman 1959 in den USA und 1962 in der Bundesrepublik erschien, sollte die Stadt danach nicht wiedersehen. Mitte der sechziger Jahre kehrte die Journalistin nach Mexiko zurück und starb 1967 in New York mit nur 52 Jahren. Ihr empathisches Bestreben, die Gespaltenheit jeder Flüchtlingsexistenz literarisch zu erfassen, ermöglicht nicht nur eine berührende Zeitreise, sondern ist gerade heute hochaktuell, eine Entdeckung, für die dem Verlag großer Dank gebührt.
(Lore Kleinert)
Verna B. Carleton *1914 in New Hampshire (USA), gestorben 1967
Verna B. Carleton "Zurück in Berlin"
"Back to Berlin - An Exile Returns" aus dem Englischen übersetzt von Verena von Koskull
Roman, Aufbau Verlag 2016, 391 Seiten, 22,95 Euro,
eBook 16,99 Euro