Jonathan Franzen
Freiheit
Was kann Literatur? Im Idealfall bietet sie dem Leser einen Spiegel, in den er tief hineinschauen und sich selbst und das Leben sehen kann. Einen Spiegel, der aus erfundenen Personen, erfundenen Geschichten, erfundenen Gesprächen besteht; in dem alles erfunden und trotzdem alles wahr ist.
Eine Durchschnittsfamilie
Acht Jahre sind vergangen, seit Jonathan Franzens Roman "Die Korrekturen" in Deutschland erschien. Nun ist sein neues Buch auf dem Markt: "Freiheit". Wieder ist es die Geschichte einer Familie aus dem Mittleren Westen, diesmal liegt allerdings der Focus auf dem Paar, Walter und Patty Berglund, das sich Anfang der 80er Jahre kennenlernt und in einer Stadt in Minnesota die beiden Kinder Jessica und Joey großzieht.
Liebe, Scheitern, Umweltpolitik
Walter Berglund ist Jurist und Umweltschützer. Patty, ein ehemaliger Basketballstar, kümmert sich als Hausfrau um den Nachwuchs. Wie ein roter Faden windet sich das Titelthema durch das Buch; es geht nicht nur um die kleine, persönliche Freiheit, um die jeder kämpft, um die Liebe und gegen das Scheitern, um Sex und Unabhängigkeit, sondern auch um das große Ganze, die Mittelschicht-typische amerikanische Art zu leben. Es sind die eher liberalen 80er Jahre, dann die Zeit unter Bush, 9/11 und der Irakkrieg, und vor allem, in Walters Fall: Umweltpolitik und Vogelschutz.
Einen Gegenpol zu den Berglunds bildet der Musiker Richard Katz, Walters Freund aus alten College-Zeiten, in den Patty früher mal verliebt war. Richard sorgt vor allem für seine persönliche Freiheit: indem er (was ihm mit seinem Punk-Charisma nicht schwerfällt) sich jede Frau nimmt, die er haben will, ohne sich wirklich zu binden.
Schmerzhaft und komisch
Franzen erweist sich (wie auch schon in den "Korrekturen") in seinem neuen Roman als ein Meister in der Beobachtung zwischenmenschlicher Kommunikation, insbesondere der schiefgelaufenen. Das ist oft schmerzhaft, oft auch prall komisch, immer widersprüchlich wie das Leben. Er geht dabei in die Tiefe, ohne je den Psycho-Zeigefinger zu erheben, und in die Breite (über 700 Seiten!), ohne auch nur einen Hauch langweilig zu werden - übrigens nicht zuletzt dank der herausragenden Arbeit der beiden Übersetzer. Jonanthan Franzens "Freiheit" ist berserkerhaft geschriebene, vor Sarkasmus triefende, zu Tränen rührende große Kunst. Bis hin zum unglaublichen Schluss des Buches.
(Gabi von Alemann)
Jonathan Franzen *1959 bei Chicago, US-Schriftsteller, lebt in New York
Jonathan Franzen "Freiheit"
Rowohlt 2010, 6.Auflage, 730 Seiten, 24,95 Euro, Taschenbuch 9,99 Euro
eBook 9,99 Euro, MP3 Auiobook 11,99 Euro, Hörbuch Download gekürzt 17,95 Euro