Madeleine Thien
Flüchtige Seelen
Ein tief berührender Roman über die Schrecken des Pol Pot Regimes in Kambodscha und eine intensive Aufarbeitung der traumatischen Erfahrungen bis in die nachfolgende Generation – das ist Madeleine Thiens Buch "Flüchtige Seelen".
Bewegende Bilder
Die Autorin, Tochter von Emigranten aus China und Malaysia, ist in Kanada geboren und aufgewachsen. Im Gegensatz zu Loung Ung, die das Inferno selbst erlebte und darüber 2001 "Der weite Weg der Hoffnung" schrieb, war Madelaine Thein nicht selbst Opfer. Grundlage ihrer bewegenden Geschichten sind intensive Recherchen vor Ort und Gespräche mit Zeitzeugen, die Arbeitslager und Folter überlebten.
Bezeichnenderweise sind die zwei Hauptfiguren des Romans Hirnforscher, die sich mit den Geheimnissen der menschlichen Seele, ihren Verletzungen und Verformungen befassen.
Seelische Verletzungen
Persönliche Lebensgeschichten wurden in Kambodscha unter dem Diktator Pol Pot Mitte der 1970er Jahre brutal ausgelöscht und vernichtet, Menschen durften keine eigenen Identitäten mehr haben, sie alle sollten Teil eines riesigen kommunistischen Bauernstaates werden. Intellektuelle waren unerwünscht, wurden gefoltert und getötet. So erging es auch Menschen, die nach Familien oder Verwandten suchten, die eine Brille trugen oder sich der schwarzen Einheitskleidung entzogen. Wer überlebte, dessen Seele erstarb.
Qualen der Erinnerung
Thien beschreibt die traumatischen Erlebnisse der Menschen in dieser Zeit, ihre Demütigungen und Verletzungen, ihre seelischen und körperlichen Qualen mit ungeheurer Intensität und Genauigkeit. Sie begleitet Janie, die als kleines Mädchen entkommen konnte, und Hiroji, der seinen verschollenen Bruder sucht, durch Hunger und Elend, Schuld und Angst, Verzweiflung und Resignation. Aber sie zeigt auch den Schimmer von Zuversicht, der aus all' der Qual von Verdrängung und Erinnerung aufscheint und Hoffnung macht auf ein Leben ohne das Grauen einer unbewältigten Vergangenheit.
Zeit des Terrors
Dabei ist ihre Sprache angesichts des Genozids am kambodschanischen Volk - Millionen Menschen wurden ermordet - fast irritierend poetisch, klar, intensiv und mitfühlend. Ein überzeugendes und ehrliches Buch über eine vergessene Zeit des Terrors in einem Land, das bis heute mit den Folgen kämpft.
(Christiane Schwalbe)
Madeleine Thien *1974 in Vancouver/Kanada, ihre Eltern stammen aus Malaysia und China, sie lebt in Montreal
"Flüchtige Seelen" war nominiert für die Shortlist "Internationaler Literaturpreis Haus der Kulturen der Welt 2014".
Madeleine Thien "Flüchtige Seelen"
übersetzt aus dem Englischen "Dogs at the Perimeter" von Almuth Carstens
Luchterhand 2014, 255 Seiten, 19,99 Euro
eBook 15,99 Euro