Dave Eggers
Der Circle
Man stelle sich das vor: Wir laufen alle mit einer kleinen Kamera um den Hals herum, damit sich jeder, der in der großen vernetzten Welt eines visionären Internetkonzerns lebt, jederzeit einklicken kann, um zu sehen, was der andere gerade so treibt – ausgenommen sind das Klo und ein paar Nachtstunden.
Regulierte Gemeinschaft
Ein medizinisch, sozial und kulturell komplett reguliertes Gemeinschaftsleben spielt sich auf einem riesigen Campus ab, die Gebäude sind gläsern, für jeden einsichtig, niemand entkommt dem allumfassenden digitalen Zugriff. Es gibt keine Verbrechen mehr, weil niemand mehr unbeobachtet ist, es gibt keine Korruption mehr, weil Politiker transparent geworden sind, Wahlen werden kollektiv organisiert, keine Stimme ist verloren. Wir leben im Kreis, im "Circle", dem niemand mehr entrinnen kann.
Totale Kontrolle
Chips, die unter die Haut gepflanzt werden – Kindern, um sie vor Gefahren zu schützen, Straftätern, um sie vor einem Rückfall zu bewahren: totale Kontrolle im Netz, das sich über die Menschheit legt und sie jeglicher Individualität beraubt. Beobachtet, gescannt, gespeichert – so sollen wir leben im Circle. Kommunikation in einer schönen neuen Welt ist, wenn jeder bei jedem mithören und mitsehen kann.
Digitale Revolution
Mae Holland ist eine typische Protagonistin dieser Welt, die nichts sehnlicher wünscht, als im Circle zu arbeiten und Karriere zu machen. Sie fängt ganz unten an, arbeitet sich schnell hoch, wird für Fehler öffentlich kritisiert und damit gefügig gemacht für die Pläne der "drei Weisen", die ein Unternehmen leiten, das mit seiner digitalen Revolution nicht weniger als die Welt beherrschen will. Eigentlich - so denkt man als Leser - fehlt nur noch die Genmanipulation, um den perfekten Menschen zu schaffen, von Geburt an ausgestattet mit einem digitalen Sensor im Hirn. Dann erübrigen sich entsprechende Gehirnwäschen.
Beklemmende Szenerie
Für (gar nicht utopische) Schreckensvisionen dieser Art haben uns schon Aldous Huxley mit "Schöne neue Welt" und George Orwell mit "1984" die Augen geöffnet, Romane, die 1932 und 1949 erschienen. Dave Eggers entwirft eine beklemmende und beängstigende Szenerie, die alles andere als unrealistisch ist, wenn man mit einem "Circle"- geschärften Blick die Fangemeinden von Facebook, Twitter und Google betrachtet, die ohne Not Details und Fotos ihres Privatlebens veröffentlichen. Es sind schon heute mehrere Millionen User, die sich freiwillig einer fragwürdigen Öffentlichkeit preisgeben
Totale "Demokratie"
Das Netz vergisst nichts, in der Circle-Cloud bleibt auch die größte Peinlichkeit erhalten und bei der Recherche familiärer Vergangenheit stolpert eine bislang erfolgreiche Circle-Mitarbeiterin schon mal über Mörder in der eigenen Familie. Bizarr und Angst einflößend ist vor allem der Wille der Circle-Familie, sich gleichschalten zu lassen, jede Privatheit aufzugeben für das angeblich so große gemeinsame Ziel: die totale "Demokratie".
Ein packender Thriller, dem man seine oft gleichförmige Sprache und so manche Wiederholung verzeiht, weil er uns eine Zukunft vorführt, von der wir weltweit nur einen Wimpernschlag entfernt sind.
(Christiane Schwalbe)
Dave Eggers *1970 in Boston/USA, Schriftsteller, Drehbuchautor und Herausgeber von Literaturzeitschriften, erhielt zahlreiche Literaturpreise, lebt in Kalifornien
Dave Eggers "Der Circle"
Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Kiepenheuer & Witsch 2014, 560 Seiten, 22,99 Euro
eBook 19,99 Euro, AudioCD 21,24 Euro, Hörbuch-Download 16,71 Euro
Weiterer Buchtipp zu Dave Eggers
"Bis an die Grenze"