J. Ryan Stradal
Samstagabend im Lakeside Supper Club
„In einer Zeit des Überflusses hatten die Portionsgrößen hier eine andere Bedeutung. Sie fühlten sich an wie eine offene Zurschaustellung des amerikanischen Erfolgs.“ Dafür ist der ‚Lakeside Supper Club‘ im nördlichen Minnesota ein gutes Beispiel, und zugleich erfahren wir, wie sich das Leben der Menschen ändert, nicht nur, was ihre Wahl eines Restaurants oder des Essens selbst angeht.
Soziale Treffpunkte
Und nicht nur das: J. Ryan Stradal erzählt die Geschichte von vier Generationen von Frauen, die sich durch Jahrzehnte mit dem Supper Club verknüpften, ihm dienten, daran verzweifelten und jede auf ihre Weise tapfer durchhielten. Der Konkurrenz durch die Fast-Food-Ketten, auch davon erzählt dieser Roman, hielten diese Familienunternehmen, die in Amerikas Kleinstädten soziale Treffpunkte waren, oft nicht stand. 1975 schien die Zeit für Lokale wie das ‚Lakeside‘ hoch im Norden in Bear Jaw abgelaufen, Florence will es verkaufen. Doch ihre Tochter Mariel wird es erben, denn Florence, die ohnehin lieber Lehrerin werden wollte, musste das Restaurant verlassen. Floyd und ihre Mutter Betty führten das Restaurant „gemeinsam in stetiger Harmonie und Präzision“, denn Betty hatte hier mit ihrer Tochter nach längeren Herumvagabundieren ein Heim gefunden.
Vom Leben gedemütigt
Floyd hatte allerdings eine Beziehung zu Archie, eine vor Leben sprühende Liebe, doch als Floyd endlich bereit war, mit ihm nach Chicago zu gehen, sorgte Florence dafür, dass er blieb und ihre Mutter nicht noch einmal vom Leben gedemütigt wurde. Floyd verbot ihr deshalb jahrelang, das Restaurant wieder zu betreten, und erst 1956 feiert sie dort mit ihrem Mann Gustav ihren Hochzeitstag – und ihre Tochter Mariel kommt zur Welt. Die Härten der Vergangenheit machen auch diese Mutter-Tochter-Beziehung kompliziert.
„Es spielte keine Rolle, dass Gustav zu den glücklichsten, ruhigsten und freundlichsten Menschen der Erde gehörte. Die Angst und Trauer, die Florence ihrem genetischen Eintopf beimengte, waren so mächtig, dass selbst vermischt mit Gustavs Liebenswürdigkeit und seinem Strahlen, ein Kind zu einem unglücklichen Leben in tiefstem Elend verdammt war.“
Große Liebe
Aus vier Perspektiven beleuchtet Stradal diese weit verzweigte Familiengeschichte, wobei vor allem die Frauen in all ihrer Widersprüchlichkeit besonders lebendig werden. Aber auch die Sicht der Männer, z.B. von Ned, ist wertvoll und rundet das Bild bis in unsere Gegenwart liebevoll und sorgfältig ab.
„Er hatte in seinem Leben ein paar Küsse erlebt, die sich anfühlten, als ertränke man in Honig, einige, als würde man von einem riesigen, flugunfähigen Vogel gefüttert, und ein paar wie eine billige Zahnbehandlung. Mariels Küsse radierten alle Gedanken und Empfindungen aus, und es blieb nur das Gefühl, zu küssen und geküsst zu werden.“
Ned, dessen Vater die Jorby-Restaurantkette aufgebaut hatte, ist zwar zu dessen Nachfolger bestimmt, doch seine Schwester kauft ihn aus dem Unternehmen heraus, denn besondere geschäftliche Begabung besitzt er nicht. Seine große, erste Liebe Mariel und er landen in Floyds ‚Lakeside Supper Club‘, den sie schließlich erbt. Nach einer zerstörerischen Tragödie, dem Tod ihres kleinen Sohns, sind sie gezwungen, ihre verlorenen Träume wiederzufinden und eine Zukunft aufzubauen. Mariel gibt ihrer Mutter Florence am Tod des Kindes die Schuld.
„Ned fand, dass er derjenige war, der versagt hatte, derjenige, der Gus überhaupt erst am Pool allein gelassen hatte. Aber er hatte nicht die Kraft, seiner Frau zu widersprechen, und sie fand Trost in ihrer zielgerichteten Wut.“
Karten neu verteilt
Wut und Entfremdung spielen in Stradals Roman eine ebenso große Rolle wie Liebe, Nähe und Vergebung. Immer wieder sind die Karten im menschlichen Spiel dabei neu verteilt, und der Autor verändert die Konstellationen mit leichter Hand und viel dramaturgischem Geschick, auch dadurch, dass er lieb gewonnene Personen vom Spielfeld nimmt: An was kann man sich festhalten, was hinterlassen wir, welches Erbe bleibt, wenn wir nicht mehr da sind? Auch Mariels Tochter Julia, die ihre Mutter kaum mehr kennenlernen konnte, steht 2015 vor der Entscheidung, was mit dem ‚Lakeside Supper Club‘ geschehen soll. Mit dem Ratschlag ihrer Großmutter Florence schließt sich der Kreis:
„Florence hatte vor langer Zeit auch einmal hier gearbeitet, und Julia wollte nicht den Eindruck erwecken, als hätte sie etwas gegen Florence und ihr Vermächtnis. „Machst du dir Sorgen darüber, du könntest deine Mom enttäuschen?“ Florence sah aus, als würde sie gleich anfangen zu lachen. „Wenn du hierbleibst und dieses Lokal übernehmen würdest, dann wäre sie enttäuscht. Willst du die Träume erfüllen, die deine Mom für dich hatte? Mach, dass du hier wegkommst.“
(Lore Kleinert)
J. Ryan Stradal, *1975 in Minnesota, Journalist, Lektor und Schriftsteller sowie Produzent von Fernsehserien, lebt in Los Angeles, Kalifornien
J. Ryan Stradal "Samstagabend im Lakeside Supper Club"
Roman, aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Bielfeldt
Diogenes Verlag, 384 Seiten, 25 Euro
eBook 21,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu J. Ryan Stradal
Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens